ZWEITE LESUNG
Die Jungfrau sorgt sich um die Sache des Herrn, um heilig zu sein
Lesung aus dem ersten
Brief des Apostels Paulus an die Korinther
Brüder!
32 Ich
wünschte, ihr wäret ohne Sorgen. Der Unverheiratete sorgt sich um die Sache des
Herrn; er will dem Herrn gefallen.
33 Der
Verheiratete sorgt sich um die Dinge der Welt; er will seiner Frau gefallen.
34So
ist er geteilt. Die unverheiratete Frau aber und die Jungfrau sorgen sich um die
Sache des Herrn, um heilig zu sein an Leib und Geist. Die Verheiratete sorgt
sich um die Dinge der Welt; sie will ihrem Mann gefallen.
35 Das
sage ich zu eurem Nutzen: nicht um euch eine Fessel anzulegen, vielmehr, damit
ihr in rechter Weise und ungestört immer dem Herrn dienen könnt.
Der hat
was gegen die Ehe! Der ist verklemmt und weltfremd!
Den kann
man ja nicht ernst nehmen! Das ist doch alles alter Quatsch!
Vielleicht haben Sie so gedacht, als Sie vorhin die Lesung gehört haben,
liebe Schwestern und Brüder!
Und
tatsächlich: das ist ja keine leichte Kost, die der Apostel seiner
Gemeinde in Korinth verabreicht, wenn er verheiratet und unverheiratet
einander gegenüberstellt und dem Unverheiratetsein eindeutig mehr
abgewinnt, die Ehelosigkeit favorisiert, weil seiner Ansicht nach der
Unverheiratete sich um die Sache des Herrn kümmert und dem Herrn
gefallen will, während der Verheiratete sich um die Dinge der Welt sorgt
und seiner Frau gefallen will, bzw. die verheiratete Frau ihrem Mann.
Macht es
sich da der Apostel nicht doch zu einfach.
Das mag
damals ja für die frühchristliche Gemeinde in Korinth akzeptabel gewesen
sein und gegolten haben, aber heute in einer Singlegesellschaft, wo
zudem so viele unverheiratet zusammenleben, darf man da doch wohl einige
Fragezeichen machen.
Selbst
bei zölibatär Lebenden darf man Zweifel haben, ob sie immer, ganz und
ausschließlich um die Sache des Herrn besorgt sind und niemand sonst
gefallen wollen. Schön wär’s!
Andererseits: Gibt es nicht auch heilige Eheleute, heilige Väter und
Mütter? Ich glaube sogar viel mehr als wir denken, auch wenn sie nie
heiliggesprochen worden sind. Sollen die Verheirateten also Christen
zweiter Klasse sein? Sind sie nicht auch getauft und Gott geweiht?
Die
heutige Theologie teilt die Sicht und Einschätzung des Paulus nicht
mehr, sondern sagt: Wer in Ehe und Familie seiner Verantwortung mit
allem Ernst versucht nachzukommen, betreibt auch, eben auf diese, seine
Weise die Sache des Herrn.
Trotz
dieser kritischen Distanz zu Paulus: Die Frage, wie dem Herrn in rechter
Weise gedient werden kann, bleibt aktuell. Für jeden Christen, Täglich.
Im
Abschnitt davor, liebe Schwestern und Brüder – den wir am letzten
Sonntag als Lesung gehört haben – da formuliert der Apostel sogar noch
schärfer: „Wer eine Frau hat, soll sich zukünftig so verhalten, als
habe er keine; wer weint, als weine er nicht; wer sich freut, als freue
er sich nicht; wer kauft, als würde er nicht Eigentümer.“
Die
Begründung, die Paulus dafür gibt, klingt in unseren Ohren ebenfalls
seltsam. Sie lautet: Es lohnt sich nicht. Wörtlich sagt er: „Die Zeit
ist kurz.“ Und: „Die Gestalt dieser Welt vergeht.“
Paulus
ist der Meinung: Es dauert nicht mehr lang. Bald schon kommt der Herr.
Dann ist hier sowieso alles zu Ende. Und deshalb lohnt es sich nicht,
sich hier auf Dauer zu etablieren und einzurichten. Heiraten, kaufen,
besitzen, Haus bauen – alles Dinge mit Verfallsdatum, alles vergänglich,
alles keine Dinge für die Ewigkeit. Und die bricht an, wenn Christus
kommt. Und in diese Zukunft zu investieren, darauf käme es an, das
allein lohne sich wirklich.
Wir
wissen, liebe Schwestern und Brüder, Paulus hat sich geirrt: Bis heute
steht die Wiederkunft des Herrn aus. Ich glaube nicht, dass einer von
uns damit rechnet, dass es jetzt gleich oder übermorgen passiert.
Abgesehen von ein paar Sekten, die immer wieder einmal das Ende der Welt
vorhersagen, erwartet wohl kaum einer unmittelbar heute oder in naher
Zukunft den Tag des Herrn.
Und darum
bauen wir Häuser oder heiraten, schicken die Kinder in die Schule, haben
ein Bankkonto, kaufen neue Schuhe oder ein neues Kleid, planen den
Urlaub, den runden Geburtstag. Denken nicht nur kurz- und mittelfristig,
sondern auch langfristig. Wir rechnen mit einem Morgen und einem
Übermorgen.
Angesichts der um ein Vielfaches gestiegenen Lebenserwartung rechnen wir
sogar noch mehr als frühere Generationen mit Jahren und Jahrzehnten, die
wir voraussichtlich zur Verfügung haben. Und sorgen darum vor und
sichern uns ab.
Und doch,
liebe Schwestern und Brüder, wenn wir genau hinhören, dann merken wir:
bei aller Zeitbedingtheit steckt doch eine Weisheit in den Gedanken und
Ansichten des Apostels, eine Weisheit, die wir vielleicht erst noch
entdecken müssen.
Etwas von
dieser Weisheit klingt vielleicht in zwei kleinen Begebenheiten an, die
ich erzählen möchte:
Am Tag
der Hinrichtung konnten die Eltern von Hans und Sophie Scholl ihren Sohn
und ihre Tochter noch einmal im Gefängnis besuchen. Am Schluss der
Begegnung mit Sophie sagte die Mutter: „Jetzt werden wir uns nicht
mehr sehen“ Da antwortete Sophie: „Ach Mutter, die paar
Jährchen!“
Die
zweite Geschichte: Ein Mann auf dem Pilgerweg in Spanien bekommt für
eine Nacht eine Unterkunft in einem Mönchskloster. Er staunt über den
spartanischen Lebensstil der Mönche und die Kargheit im Kloster. Am
nächsten Tag fragt er den Gastpater:
„Wo
haben sie denn ihre Möbel?“
Der Pater fragte zurück: „Und wo haben Sie ihre?“ „Ja, ich bin auf
der Durchreise“, sagte der Mann. „Wir auch“, erwiderte der
Mönch.
„Wir
sind nur Gast auf Erden“,
heißt es in einem Lied. Paulus sagt: “Wir haben hier keine bleibende
Stätte. Unsere Heimat ist im Himmel. Von dort erwarten wir den Retter,
der kommen wird.“
Der wichtigste Satz in der Lesung heute lautet meines Erachtens:
„Ich
wünschte, ihr wäret ohne Sorgen.“
Was für
ein Satz, liebe Schwestern und Brüder! Was für ein Wunsch! Es spricht
aus ihm die ganz liebevolle, ich möchte sagen, mütterliche Sorge, die
Paulus für seine Gemeinde hat.
Eltern
wünschen das ihren Kindern, Großeltern erhoffen es für ihre Enkel:
„Ich wünschte, ihr wäret ohne Sorgen!“
Leben
ohne Sorge um das fehlende Geld. Leben ohne Angst um den guten
Schulabschluss, der einen Studienplatz garantiert. Leben ohne Angst um
den Verlust des Arbeitsplatzes. Leben ohne jahrelange, verzweifelte
Suche nach dem richtigen Partner, ohne Angst um die Zukunft, ohne
Zweifel am eigenen Wert, Leben ohne Angst um die Gesundheit, ohne Sorge
um liebe Angehörige oder Freunde.
Wir haben
viele Sorgen. Und die halten uns gefangen wie Sklaven. Wir möchten frei
sein, sorglos leben, unbeschwert. Und können es oft nicht. Stattdessen
leben wir fiebrig und gehetzt. Wir schaffen und raffen. Wir gieren und
geizen. Wir sind gefangen im Hamsterrad von immer mehr, immer schneller,
immer besser, immer noch effektiver, immer noch erfolgreicher.
„Du
Narr“,
sagt Gott in einem Gleichnis, das Jesus erzählt, zum reichen Kornbauer.
„Heute noch stehst du auf meinem Terminkalender.“
„Ich
wünschte, ihr wäret ohne Sorgen!“ – „Ich wünschte, ihr wäret frei“
– so könnte man den Satz auch übersetzen.
Wie viele
Chancen lägen darin, wenn wir nicht mehr ständig überlegen müssten, wie
wir dem Chef alles recht machen können. Wenn wir nicht mehr krampfhaft
dem Partner dauernd meinen, gefallen zu müssen. Wenn wir nicht mehr den
Nachbarn unbedingt schöntun und uns selbst belügen müssten. Wenn wir
nicht mehr angestrengt aufpassen müssten, ja nicht zu kurz zu kommen,
sondern wenn wir leben könnten, wie Gott uns haben will: großzügig und
gelassen, mutig und solidarisch.
Paulus
nennt das „heilig“ und „untadelig“. Alte, ungewohnte Worte
für eine, wie ich meine, ganz moderne und heilsame Sehnsucht.
Lassen
wir uns diese Sehnsucht von niemandem ausreden, liebe Schwestern und
Brüder! Oder gar zuschütten durch vorschnelle Erfüllung unserer
Begierden.
Wir
Menschen bleiben Suchende und Hungrige. Kein Angebot der Welt erfüllt
uns ganz. Keine Mahlzeit sättigt uns für immer. Kein irdisches Glück
genügt uns. Unsere Sehnsucht ist größer. Wir dürfen sie wach halten.
Einer wird kommen und sie stillen.
(Einige Gedanken und Formulierungen verdanke ich Christa
Brunner, in:
„Die Botschaft heute“ Heft 1/ 2012, Seite 461)
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