EVANGELIUM
Sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben
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Aus dem Evangelium nach Markus
30Die
Apostel versammelten sich wieder bei Jesus und berichteten ihm alles, was sie
getan und gelehrt hatten.
31Da
sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht
ein wenig aus. Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren
die Leute, die kamen und gingen.
32Sie fuhren also mit dem
Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein.
33Aber man sah sie abfahren,
und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen
noch vor ihnen an.
34Als er ausstieg und die
vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die
keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange.
Heutzutage haben wir
Worte und Bezeichnungen für Dinge, die es früher gar nicht gab.
Zum Beispiel: Handy
oder Airbag oder Internet. Mit solchen Begriffen hätte vor 50, ja 30
Jahren kein Mensch etwas anfangen können. Auch hätte niemand gewusst,
was man unter Multi-Kulti, Mobbing oder Wellness versteht.
Ähnlich ist es mit
dem Begriff „Stress“. Heute kennt das Wort jeder. Stress ist in aller
Munde: Stress bei der Arbeit, Stress in der Familie, Stress sogar in der
Freizeit.
Stress, so kommt mir
vor, gehört fast schon zum „guten Ton“.
Wer was gelten, wer
was sein will, hat einen vollen Terminkalender, ist ausgebucht, hat
keine Zeit.
Auch der Sonntag und
der Feierabend sind verplant.
Manch einer macht
sich auch selber Stress, weil er alles perfekt, hundertprozentig machen
will, nicht nur gut, sondern sehr gut.
Wie auch immer:
Stress ist eine Realität. Viele Menschen fühlen sich unter Druck:
Zeitdruck, Erwartungsdruck, Leistungsdruck. Egal ob in der Schule, in
der Familie oder im Beruf: Die Beanspruchung wird immer stärker, die
Anforderungen werden immer mehr, der Druck nimmt zu. Immer mehr
Leistung, immer mehr Effektivität, immer neue Ziele, immer mehr Tempo.
Neulich habe ich
gelesen, dass die Fehlzeiten am Arbeitsplatz wegen psychischer
Erkrankungen – ausgelöst durch Zeitdruck und Stress – seit 1999 um fast
80% gestiegen sind.
Und „Burnout“ – auch
so ein neuer Begriff – mausert sich zur Volkskrankheit Nr. 1.
Ob die Apostel
auch Stress kannten?
Jesus hatte sie
ausgesandt, zwei und zwei. Sie hatten in den Städten und Dörfern
gepredigt, die Menschen zur Umkehr aufgerufen, die Nähe des Reiches
Gottes angesagt. Sie konnten viel vollbringen. Sie haben Menschen
geheilt und Dämonen ausgetrieben. Sie haben Aufnahme erfahren, aber auch
Ablehnung.
Nun kehren sie, voll
von Eindrücken und Erlebnissen, wieder zu Jesus zurück. Und – so heißt
es im Evangelium – sie berichteten ihm alles, „was sie getan und
gelehrt hatten“.
Jesus hat ein Ohr für
die Seinen. Er versucht ganz für sie dazu sein. Er spürt ihr
Mitteilungsbedürfnis. Er sieht auch, dass sie müde sind und erschöpft.
Die Missionsreisen waren kein Spaziergang. Sie waren anstrengend und
haben Kraft gekostet.
Doch die Situation,
in der sich Jesus und die Apostel vorfinden, ist wie bei uns auch oft:
Rundherum Lärm und Trubel. Statt Ruhe ein Kommen und Gehen. Jesus und
die Seinen werden regelrecht belagert. Dauernd will jemand etwas von
ihnen. Es heißt sogar, dass sie nicht einmal Zeit zum Essen fanden.
In diese Situation
hinein sagt Jesus zu ihnen: „Kommt mit an einen einsamen Ort… und
ruht ein wenig aus.“
Folgendes finde
sehr bemerkenswert,
dass Jesus die Seinen, wo sie sich wieder bei ihm einfinden, nicht
gleich zu neuer Arbeit antreibt. Er macht keine neuen Zielvorgaben. Er
fordert keine Leistungssteigerung.
Stattdessen: „Ruht
ein wenig aus!“ Jesus spürt, was die Apostel brauchen, was er selber
immer wieder auch braucht und sucht: einen einsamen Ort, um nicht in
Aktivismus zu verfallen, um Kraft zu schöpfen für Leib und Seele.
Jesus gönnt den
Aposteln eine Zeit der Entspannung, eine Rast, eine Verschnaufpause,
eine Art „stressfreie Zone“.
Jesus reagiert ganz
einfühlsam und ganz menschlich.
Ganz anders, wie wir
es heute oft erleben.
Das zeigt uns: Jesus
hat kein Gefallen am pausenlosen Betrieb. Er weiß, dass man einen Bogen
nicht überspannen darf.
„Kommt und ruht
ein wenig aus!“
Welche Erlösung liegt
in diesen Worten! Welche Erlösung ist diese Einladung für den, der
eingespannt ist in die Tretmühle der täglichen Aufgaben und Sorgen und
Pflichten.
Immer mehr Menschen
kommen sich ja vor wie in einem Hamsterrad. Unrast und Unruhe ohne Ende.
Sie fühlen sich fremdbestimmt, von außen gesteuert. Stress macht sich
breit Hektik und Eile. Sie haben den Eindruck, nur noch zu rotieren und
zu funktionieren.
Wie wohltuend klingen
da die Worte aus dem Mund Jesu: „Kommt und ruht ein wenig aus!“
„Ausruhen beim
Herrn!“ –
Mir ist da das Bild der Johannesminne in den Sinn gekommen. Ich weiß
nicht ob sie es kennen. – Es zeigt, wie Johannes beim letzten Abendmahl
an der Brust Jesu ruht. Einfach sein dürfen, da sein, bei IHM sein.
Nichts müssen, nichts bringen, nichts machen, nichts leisten müssen.
Ausruhen am Herzen Jesu. Seine Nähe spüren, verkosten.
Sich angenommen
fühlen, auch wenn ich hinter den Erwartungen zurückgeblieben bin.
Geborgenheit erfahren, auch wenn ich die erhofften Leistungen nicht
erbracht habe. Sich bejaht fühlen trotz aller Fehler und Schwächen.
„Ausruhen beim
Herrn!“ –
Verweilen in seiner Gegenwart.
Aus solcher Nähe und
Verbundenheit kann Gelassenheit wachsen und barmherziger Umgang nicht
nur mit anderen, sondern auch mit sich selbst.
„Ausruhen beim
Herrn“,
liebe Schwestern und Brüder, darf allerdings keine Ausrede sein für
mangelndes Engagement.
„Ausruhen beim
Herrn“ ist
kein Selbstzweck. Es will stärken, es will Kraft geben, die anstehenden
Aufgaben anzugehen und zu bewältigen.
Und so kann schon –
wie es heute im Evangelium der Fall ist – eine zwei-, dreistündige
Bootsfahrt ausreichen, um wieder Kraft zu schöpfen und sich den Menschen
neu zuzuwenden.
Doch die Aktion
braucht immer wieder die Meditation, die Sendung braucht die Sammlung.
Das Wort braucht das Schweigen, das Zupacken das Händefalten. Sonst
bekommt unser Leben Schlagseite. Wir verlieren das Gleichgewicht.
Steter Lärm und
dauernde Unrast machen den Menschen krank. Und ohne Sammlung gleichen
wir einem leeren Krug oder einem wasserlosen Brunnen.
Wenn wir nicht völlig
ausgelaugt und ausgebrannt werden wollen, dann brauchen wir immer wieder
die Unterbrechung, das Innehalten, die Atempause, den Rückzug aus der
ruhelosen Betriebsamkeit, dann müssen wir uns immer wieder jenen
Freiraum schaffen, wo wir zur Ruhe kommen, Stille finden und neue Kraft
schöpfen können.
Beim Propheten Jesaja
spricht Gott: „Nur in Umkehr und Ruhe liegt eure Rettung. Nur Stille
und Vertrauen verleihen euch Kraft.“
Und ein Psalmenbeter bekennt:
“Bei Gott allein
kommt meine Seele zur Ruhe, von ihm kommt mir Hilfe“
(Ps 62, 2).