geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Bartimäus, der vorbildhafte Jünger

(30. Sonntag - Lesejahr B; Mk 10, 46 - 52)

 

Was für eine Geschichte, spannend und voller Dynamik!

Allerdings auch sehr bekannt. Schon im Kindergarten findet sie Verwendung. Auch bei Familiengottesdiensten wird sie gern genommen. – Schauen wir die Erzählung einmal genauer an:

 

Jesu zieht mit seinen Jüngern und viel Volk aus der Stadt Jericho. Am Wegrand sitzt ein blinder Bettler, Bartimäus.

 

Blind, Bettler, draußen, am Rand: 4-faches Elend!

Muss solch ein Mensch nicht das Gefühl haben, unwert zu sein, unnütz, im wahrsten Sinn des Wortes ein gesellschaftlicher Außenseiter, weithin unbeachtet, ungeborgen und schutzlos.

 

Bartimäus: eine Jammergestalt, ein Bild der Erniedrigung, leibhaftige Hoffnungslosigkeit – bis er Jesus begegnet.

 

Wie er hört, dass Jesus vorbeikommt, sieht er die Chance seines Lebens und ergreift sie energisch. Er beginnt aus Leibeskräften zu rufen. Und niemand kann ihn daran hindern.

Trotz heftigen Widerstands und trotz Einschüchterung schreit er Jesus unbeirrt und immer lauter seine Not entgegen.

 

Meines Erachtens beginnt hier schon das „Wunder“ der Heilung. Denn dass Bartimäus schreit, dass der blinde Bettler sich überhaupt hervorwagt, überrascht. – Bisher hat er seine eigenen Wünsche immer verdrängt und ignoriert. Immer hat er gekuscht, sich geduckt, sich angepasst und gefügt. – Jetzt geht er plötzlich aus sich heraus, wird aggressiv. Er schreit aus voller Kehle.

 

Bartimäus setzt alles auf eine Karte, jetzt oder nie. Totales und buchstäblich blindes Vertrauen in Jesus, den er „Sohn Davids“ nennt und in dem er den verheißenen Retter erkennt.

 

Und was passiert? Was passieren muss!

Man ärgert sich über ihn, man droht ihm, zu schweigen.

„Er aber schrie noch lauter“, heißt es, „je mehr sie ihn anfuhren“.

Er lässt sich den Mund nicht mehr verbieten.

Eine hochdramatische Szene!

 

Und Jesus? Er hört das Rufen des Blinden aus der Menge, im Gedränge, im Gewirr der Stimmen. Und er bleibt stehen.

Das ist für mich eine sehr bewegende Stelle:

Mitten im Strom der großen Menge von Menschen bleibt Jesus stehen wegen einem Einzigen. Ihm wendet er sich zu. Für ihn nimmt er sich Zeit. Für ihn ist er jetzt da. Dieser ist ihm jetzt wichtig. Für solche Menschen ist er gekommen.

 

Dann lässt Jesus Bartimäus zu sich rufen. Da wechselt die Stimmung plötzlich. Jetzt machen die, die den Blinden gerade noch eingeschüchtert haben, ihm Mut.

„Hab Mut! Steh auf! Er ruft dich!“

Aus Ausgrenzung wird Unterstützung, aus Drohung Ermutigung.

Man könnte das das zweite „Wunder“ in der Geschichte nennen.

 

Meines Erachtens beginnt aber hier bereits die Heilung des Bartimäus, da nämlich, wo er zu sich selber steht, wo er sich nicht mehr einschüchtern lässt, sondern sich gegen allen Widerstand behauptet und mit aller Kraft, laut und ausdauernd zu Jesus um Erbarmen ruft.

 

Und dann?

Voll Erwartung springt Bartimäus auf und wirft seinen Mantel weg und damit alles, was er hat. Und er, der Blinde, läuft zielstrebig – als sei er schon sehend – Jesus entgegen.

 

Nun stellt Jesus an Bartimäus eine Frage, die sehr merkwürdig ist: „Was soll ich dir tun?“ Wörtlich: „Was willst du, dass ich dir tue?“ – Warum fragt Jesus den Blinden, was er ihm tun soll? Er sieht doch, was dem Mann fehlt.

 

„Was willst du, dass ich dir tun soll?“ Die Frage Jesu hilft Bartimäus, seine Bedürftigkeit wahrzunehmen und seine Not vor Jesus hinzutragen und auszusprechen.

Jesus handelt nicht einfach über den Kopf des Bartimäus hinweg. Heilung geschieht nicht passiv.

 

„Was willst du, dass ich dir tun soll?“

Offenbar kommt es darauf an, dass er, Bartimäus, der blinde Bettler, der aus Angst vor Zurückweisung und Liebesentzug sich nie getraut hatte, ja es sich regelrecht abgewöhnt hatte, etwas zu wollen, zu fordern oder sich herauszunehmen, dass dieser Mensch klar und deutlich ausspricht, was er will.

 

„Rabbuni, ich möchte wieder sehen können“

Bartimäus war also nicht von Geburt an blind, sondern ist im Laufe seines Lebens erblindet. Und damit trat all das ein, was zu damaliger Zeit mit Blindsein einherging: Verarmung, Betteln, Ausgestoßensein, Angewiesensein auf das Wohlwollen anderer, absolute Hilflosigkeit, ein Leben am untersten Rand. Das alles verbirgt sich in der Bitte „Ich möchte wieder sehen können“.

 

Jesus, der göttliche Arzt, braucht eigentlich nicht mehr zu tun, als zu bestätigen: „Dein Glaube hat dir geholfen!“

Es sieht fast so aus, als habe Jesus gar kein Wunder gewirkt, als habe er nur die letzten Reserven des blinden Bettlers aktiviert. Dessen Wille, wieder sehen zu wollen und sein Vertrauen auf Jesus haben ihn geheilt. „Geh, dein Glaube“, d. h. die Kraft deines Vertrauens, „hat dir geholfen.“

 

Liebe Mitchristen!

Es gibt Wüstenblumen, die sehen aus, als wenn kein Leben mehr in ihnen wäre. Sie vegetieren in Dürre und Trockenheit. Kaum aber fällt Regen, schießen sie auf und treiben Blüten. Sie zeigen, dass sie niemals vergessen haben, was es heißt, zu leben.

 

Bartimäus hat allerdings nicht nur sein Augenlicht wieder erlangt.

Es gehen ihm auch die Augen auf für Jesus. Er wird sehend für Jesus und seinen Weg.

 

Der letzte Satz heißt: „Er folgte Jesus auf seinem Weg.“

Bartimäus schließt sich Jesus an.

 

Es ist wichtig zu beachten, dass diese Blindenheilung die letzte Wundererzählung im Markusevangelium ist und an der Schwelle zur Passion steht, unmittelbar vor dem Bericht vom Einzug Jesu in Jerusalem.

 

Während die anderen Jünger noch weithin blind sind für Jesus und seine Sendung, nichts verstehen und nichts begreifen, ja Jesus abbringen wollen von seinem Weg, sich unterwegs streiten, wer von ihnen der Größte ist, die ersten Plätze im Reich Gottes reklamieren, folgt Bartimäus von sich aus Jesus auf seinem Weg. Es ist der Weg hinauf nach Jerusalem; Leiden und Kreuz entgegen.

 

Aus dem am Straßenrand sitzenden Bettler wird ein Nachfolger Aus dem Blinden ein Sehender. Bartimäus wird zum vorbildhaften Jünger.

Vorbildhaft auch für uns! Wir sollen sehend werden und nachfolgen, nicht aus Furcht, die den Jüngern den Blick verstellt (vgl. Mk 10,32), sondern mit erleuchteten Augen, mit Augen, die im Kreuzesleiden Jesu das Heilswerk der Erlösung erkennen, die Macht seiner Liebe, das Wunder des göttlichen Erbarmens.

 

Noch etwas verdient unsere Aufmerksamkeit:

Der Ruf des blinden Bartimäus „Kyrie eleison“ hat Eingang gefunden in die Liturgie der Kirche. Sowohl beim blinden Bettler als auch im Gottesdienst ist dieser Bittruf ein Bekenntnis zu Jesus, unseren Erlöser und Heiland.

 

Übrigens, der Ruf lebt heute auch weiter im „Jesusgebet“.

Athos-Mönche und andere wiederholen bis zu tausendmal am Tag: „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!“

Sie erinnern sich damit ständig an Jesus, den Sohn Gottes, an ihn, der für uns gestorben und auferstanden ist, der uns geliebt und sich für uns hingegeben hat.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Auch wir können uns dieses Gebet zu eigen machen. Es ist ein Gebet für uns alle. Es kann uns helfen, immer und überall in der Gegenwart Gottes zu leben. Es kann helfen, immer wieder neu von der Blindheit des Herzens befreit zu werden und die heilende Kraft des Glaubens zu erfahren.