geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Wehrlos wie ein Lamm

(2. Sonntag im Lesejahr A; Joh 1, 29 - 34)

 

EVANGELIUM                                                                                                   

Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt

 

Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes

In jener Zeit

29sah Johannes der Täufer Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.

30Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war.

31Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, um Israel mit ihm bekannt zu machen.

32Und Johannes bezeugte: Ich sah. dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb.

33Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft.

34Das habe ich gesehen. und ich bezeuge: Er ist der Sohn Gottes.

 

 

Wir haben es soeben im Evangelium gehört, liebe Schwestern und Brüder: Johannes der Täufer bezeichnet Jesus als „Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“

Die Hörer und Hörerinnen des Evangeliums damals konnten damit etwas anfangen. Ihnen war das Bild vom Lamm vertraut. Doch verstehen wir, was gemeint ist, wenn der Priester im Gottesdienst – unmittelbar vor dem Kommunionempfang – im Blick auf die erhobene Hostie – dieses Wort von Johannes dem Täufer zitiert? Oder wenn er nach dem „Herr, ich bin nicht würdig…“ spricht: „Selig die zum Hochzeitsmahl des Lammes geladen sind!“

Was meint und bedeutet das Bild vom Lamm? Was kann es uns sagen?

 

Eine Geschichte jüdischer Herkunft erzählt:

Gott sah, was er alles erschaffen hatte, und freute sich seiner geschaffenen Kreatur. Die Tiere zogen in großen Prozessionen an Gott vorüber: wehrhaft mit Stoßzähnen die einen, mit Krallen, die sich tief eingraben können, und Panzern die anderen. Es war eine große Zahl mit vielerlei zuschlagenden, beißenden, vernichtenden Werkzeugen. – Ganz traurig, in sich geduckt, stand ganz abseits ein Tier und starrte auf die Büffel und Nashörner, die Schlangen und Tiger, die Löwen und Krokodile: ein Lamm. – Es war wie verloren und hatte rein gar nichts, womit es sich hätte wehren können gegen die Angreifer, geschweige denn selber auf andere los gehen, denn es verfügte über kein einziges verletzendes oder gar vernichtendes Werkzeug.

„Warum gabst du ihnen so viele Waffen?“ fragte das Lamm den Schöpfer und fügte vorwurfsvoll hinzu: „Du weißt doch, was sie alles damit Schlimmes anrichten können und tatsächlich anrichten. Sie morden sich gegenseitig.“

Da reute es Gott, die Natur der Tiere so wehrhaft ausgestattet zu haben. „Und was soll ich dir geben zu deinem Schutz?“ fragte der Schöpfer das Lamm. Aber von all dem, was die anderen Tiere zu ihrem Schutz – wie Gott es wollte – bekommen hatten an wehrhafter Ausrüstung, wollte das Lämmlein nichts. Es lehnte jedes Angebot, das der Schöpfer ihm machte, einfach ab. Da gab ihm Gott: Geduld, Demut und Hingabe, die „Waffen des Friedens“.

 

Wo immer uns in der hl. Schrift das Bild vom Lamm begegnet, überall schimmert durch: das Lamm ist wehrlos. Es kennt keine Gewalt. Ohne Widerstand zu leisten wird es zum Opfer. Die Wehrlosigkeit des Lammes finden wir auch bei Jesus Christus von der Krippe bis zum Kreuz. Und deswegen passt auch das Bild vom Lamm so gut zu ihm.

 

Jesus hat allerdings diese Wehrlosigkeit des Lammes freiwillig gewählt. Er hätte sich wohl verteidigen und seine Jünger zum Widerstand aufstacheln können (die Bereitschaft dreinzuschlagen war zumindest bei einigen vorhanden!).

Aber die Macht des Bösen – die „Sünde der Welt“ – lässt sich nicht dadurch besiegen, dass man mit gleichen Waffen zurückschlägt. Dadurch wird der Kreislauf der Gewalt nur weiter fortgesetzt.

 

Jesus erleidet ungerechte Gewalt, freiwillig und ohne sich zu wehren. So läuft sich der Hass buchstäblich an ihm tot. Er nimmt die Sünde der Welt auf sich. Und in seinem Sterben löscht er sie aus. Der Teufelskreis ist beendet.

 

Liebe Mitchristen!

Im Mittelpunkt des christlichen Glaubens steht nicht ein mächtiger Krieger, kein kämpferischer Held, kein Gewalttätiger, der sich überall durchzusetzen weiß und dabei über Leichen geht, rücksichtslos, gnadenlos.

Im Mittelpunkt des christlichen Glaubens steht der Inbegriff des Schwachseins, das Lamm, der leidende Gottesknecht, der freiwillig auf Gewalt verzichtet, die Schuld der Welt auf sich nimmt, sie trägt und sie mit seinem eigenen Blut am Holz des Kreuzes tilgt.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Jeder von uns erfährt, wie in der Welt das Böse mächtig ist. Überall herrscht das Gesetz von Gewalt und Gegengewalt, der Mechanismus der Rache und Vergeltung im Großen und im Kleinen. Druck und Gegendruck, Intrigen und Gegenintrigen und oft genug offene Gewalttätigkeit, Hetze und Hass. – Wer durchbricht den Teufelskreis?

 

„Selig, die zu Hochzeitsmahl des Lammes geladen sind!“

Dieser Ruf, der vom Priester vor dem Kommunionempfang oft gesprochen wird, lädt uns zur tiefsten, innersten und innigsten Gemeinschaft mit dem Herrn ein.

 

Ob aus dieser Vereinigung mit Jesus nicht auch die Kraft zuwachsen sollte, immer mehr seine Gesinnung zu unserer Gesinnung, seine Haltung zu unserer Haltung, seine Einstellung zu unserer Einstellung zu machen? Leben wie er gelebt hat. Lieben, wie er geliebt hat. Gesinnt sein wie er. Leben aus seinem Geist.

 

So gesehen sollten wir versuchen – so gut wie wir können – mit unseren Aggressionen, Hassgefühlen und Machtgelüsten vernünftig, menschlich umzugehen, auf Hass, Rache und Vergeltung zu verzichten, vielmehr an die Stelle des Bösen das Gute zu setzen, zu segnen statt zu fluchen, zu grüßen statt eisig zu schweigen und zu verzeihen, wo man beleidigt.

 

Natürlich bedeutet das immer ein Schwimmen gegen den Strom, ein Leben gegen den Trend. Es ist alternativ zu vielem, was in der Welt gilt. Dort zählen die Ellenbogen, dort wird verlangt, sich durchsetzen und durchboxen, da lautet das Motto: „Wie du mir, so ich dir!“ Und: „Jeder ist sich selbst der Nächste.“

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Jesus lädt uns zu einer anderen, einer neuen Gangart ein.

„Lernt von mir“, sagt er einmal, „denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen.“

Die Seinen sendet er wie Schafe mitten unter die Wölfe.

Und „selig“ preist er diejenigen, „die keine Gewalt anwenden“, diejenigen, die voll Sanftmut sind.

 

Es ist keine Frage: Leben wie Jesus gelebt hat, Leben nach dem Evangelium, Nachfolge Christi, Nachfolge des Gotteslammes – bedeutet immer auf die eine oder andere Art Kreuzesnachfolge!

 

M.L. King, ein Lehrmeister der Gewaltfreiheit, hat einmal gesagt: „Unsere Leidensfähigkeit muss größer sein, als die Fähigkeit unserer Gegner zu hassen.“ Er hat es riskiert. Er hat sich wehrlos gemacht. Er ist ein Märtyrer unserer Zeit geworden. Ebenso Mahatma Gandhi, Erzbischof Oskar Romero und andere.

 

Ein solches Wagnis erfordert Glauben: Glauben an jenen Gott, der das Opfer Jesu angenommen hat als Versöhnungsopfer für die ganze Menschheit. Glauben an den Gott, der das geopferte Lamm vom Tode auferweckt und zum Herrn der Zukunft gemacht hat. Glauben an Jesus Christus, der diejenigen, die Frieden stiften, Söhne und Töchter Gottes nennt und denjenigen, die keine Gewalt anwenden verspricht, dass sie das Land erben.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Wenn der Priester in der Eucharistiefeier vor der hl. Kommunion die unscheinbare Hostie erhebt, den Leib Christi, und auf ihn als Lamm verweist, das die Sünde der Welt hinwegnimmt, dann ist das wirklich frohmachende Botschaft. Und es gilt in der Tat: „Selig, die zum Hochzeitsmahl des Lammes geladen sind!“

Durch seine Wunden sind wir geheilt, sind erlöst und befreit.