„Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“
Diese Frage stellt der Apostel Paulus am Anfang der zweiten Lesung.
„Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“
Ehrlich
gesagt: gäbe es nicht vieles, was uns von ihr trennen, von ihr
weglocken, von ihr wegführen könnte?
Für uns
mag es anderes sein als für Paulus.
Auf
die Frage: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“ fragt
er und zählt auf: „Bedrängnis oder Not oder
Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert?“
Und dann
gibt er selbst die Antwort:
„All
das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat.“
Liebe
Schwestern und Brüder!
Das ist
nicht nur so dahergeredet, blauäugig, fromm. Der Apostel weiß, wovon er
spricht. Was hat er nicht schon alles mitgemacht und am eigenen Leib
erfahren? Leiden und Nöte vielfältiger Art!
Im
zweiten Korintherbriefe (11. Kapitel) wird Paulus einmal ganz konkret
und zählt auf:
“Strapazen mehr als genug, Kerkerstrafen die Menge, Misshandlungen im
Übermaß und wie oft in Todesnot! -Von den Juden habe ich fünfmal
empfangen die vierzig Streiche weniger einen, dreimal bin ich
ausgepeitscht, einmal gesteinigt worden, dreimal habe ich Schiffbruch
erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf offener See. - Und auf
allen meinen Wanderungen: Gefahr von Flüssen, Gefahr von Räubern, Gefahr
von meinem eigenen Volk, Gefahr von den Heiden, Gefahr in der Stadt, in
der Wüste, auf dem Meer, Gefahr unter falschen Brüdern. - In Mühe und
Not, in durchwachten Nächten wie oft! In Frost und Blöße. - Und dann:
Der tägliche Andrang zu mir, die Sorge für alle Gemeinden. - Wo ist
einer schwach und ich bin es nicht auch? Wo muss einer leiden und ich
leide nicht mit?“
Harte
Fakten von Ohnmacht, Niederlagen, Scheitern, Grenz- und Leiderfahrungen,
stocknüchtern aufgezählt, ohne zu dramatisieren oder zu verharmlosen.
„Was
kann uns scheiden von der Liebe Christi?“
Am
Schluss der heutigen Lesung gibt Paulus auf diese Frage, klar und
eindeutig Antwort:
Nichts!
Rein gar nichts kann uns scheiden von der Liebe Christi!
Keine
Gewalt, keine Macht, nicht einmal der Tod, diese letzte, unerbittliche
und unausweichliche Wirklichkeit im Leben jedes Menschen.
„All
das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat!“
Das ist
das dankbare Fazit, das Paulus gegen Ende eines langen,
entbehrungsreichen, von Gefahren, Widerständen und Enttäuschungen
geprägten Lebens zieht.
Sehen
Sie, liebe Mitchristen!
Für
Paulus ist – seit dem Damaskuserlebnis – die Liebe Christi zum
unverrückbaren Pol seines Lebens geworden.
An dieser
Liebe zweifelt er nicht trotz vieler misslicher äußerer Lebensumstände.
Ja, in dieser Liebe weiß er sich geborgen.
Diese
Liebe hat ihn nicht vor Nöten und Gefahren bewahrt, aber sie hat ihn
gestärkt, sie hat ihm Kraft gegeben. Er blieb nicht bewahrt vor
allem Leid, aber in allem Leid.
Können
wir, liebe Mitchristen, was Paulus von sich sagt, auch von uns sagen?
Kann ich es von mir sagen?
Können
wir seine Haltung uns zu eigen, zu unserer eigenen Haltung machen?
Spüren
wir, wie diese Lesung, dieses Bekenntnis des Paulus für uns zu einer
Anfrage wird?
Auch uns
soll nichts von Christus trennen: Keine Schwierigkeiten innerer oder
äußerer Art, weder Nöte des Leibes noch der Seele; nicht die Erfahrung
des Bösen, nicht die Versuchung, nicht die Schuld; weder die Angst vor
der Zukunft, noch Sorgen und Probleme der Gegenwart.
Seien wir
mit Paulus gewiss: auch wenn so vieles einen traurig werden lassen kann
oder verzweifeln lassen mag, seien wir gewiss: hinter unserem Leben
steht eine große und gütige Macht, hinter unserem Leben steht Gott. Er
allein ist letzter Halt.
Im Grunde
geht es bei all dem um Vertrauen, um das Vertrauen, dass man sich auf
die Liebe Gottes verlassen, dass man sich darauf felsenfest stützen
kann.
Romano
Guardini stellt einmal die Frage: „Was ist denn sicher? So sicher,
dass man darauf leben und sterben kann?“
Seine
Antwort: „Die Liebe Christi!“
Und
er fährt fort: „Das Leben lehrt uns, dass
dieses Letzte nicht Menschen sind, und seien es die Besten und die
Liebsten; auch nicht Wissenschaft oder Philosophie oder Kunst, oder was
sonst Menschenkraft hervorbringt... Sicher ist nur die Liebe Christi...
Und was sonst feststeht – da, wo es sich um ewiges Leben und ewigen Tod
handelt – steht fest von ihr her.“
Guardini
hat eine ähnliche Erfahrung gemacht wie Paulus.
Der
eine sagt: „Die Liebe Christi ist das
Sicherste!“
Der
andere: „Nichts kann uns scheiden von der Liebe
Christi!“
Aus
beidem spricht ein fester Glaube, ein großes Vertrauen auf die Liebe
Gottes.
„Nichts kann uns trennen von der
Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, unserem Herrn“
Jemand
hat diese Zeilen des Völkerapostels das „paulinische Siegeslied von
der Erlösung“ genannt.
In der
Tat, eine tiefe Freude und große Zuversicht, ja Gewissheit über Gottes
Liebe und Treue zum Menschen klingt in diesen Worten des Paulus.
Diese
Freude in Christus relativiert die Härte unseres Alltages nicht. Sie
täuscht nicht über Ausweglosigkeit und Ohnmacht hinweg. Sorgen, Nöte und
Probleme werden dadurch nicht belanglos. Aber wir brauchen daran nicht
zu zerbrechen. Wir können mit ihnen fertig werden und sie meistern, weil
sie nicht das Letzte sind. Das Letzte und Sicherste ist die „Liebe
Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“.
Liebe
Schwestern und Brüder!
Wenn Sie mich fragen würden:
„Liebst du Gott?“ dann
würde ich innehalten. Und unsicher und zögernd würde ich antworten:
„Ich
weiß nicht. Ich kenne meine Grenzen. Ich weiß um meine Schwächen. Ich
sehe, wie oft ich hinter der Liebe zu Gott zurückbleibe. Wirklich
lieben, mit einer ganz reinen, ganz lauteren Liebe, das kann ich nicht
sagen. Aber eines weiß ich ganz gewiss, da bin ich ganz sicher, dass
Gott mich liebt! Darauf vertraue ich, daran glaube ich felsenfest!“
Ehrlich
gesagt, ich wüsste nicht, von welcher Hoffnung ich leben sollte, wenn
ich davon nicht überzeugt wäre. – Ich wüsste nicht, wofür ich leben und
arbeiten sollte, wenn ich darauf nicht immer wieder mein Vertrauen
setzen würde! – Meine ganze Hoffnung liegt darin, dass Gott Gott ist,
dass er die Liebe ist und dass ich der Liebe Gottes trauen kann und an
sie glauben und auf sie hoffen darf. |