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Der gute Hirt (4. Ostersonntag - Lesejahr C)
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Es gibt viele Bilder vom guten Hirten. Die Generationen vor uns, unsere Großeltern und Urgroßeltern, liebten es, ein Gut-Hirten-Bild im Schlafzimmer zu haben. In Kinderbüchern und Schulbibeln findet man auch heute das Motiv häufig. Die großen Künstler von Lucas Cranach über Van Gogh bis Sieger Köder haben Bilder vom guten Hirten gemalt. In den ersten Jahrhunderten war der gute Hirte die zentrale Heilandsgestalt, oft und oft dargestellt, auch in den Katakomben.
Uns Menschen heute ist das Bild vom Hirten und seinen Schafen eher fremd geworden. Schäfer, die mit ihrer Herde übers Land ziehen sieht man nur noch selten. Doch nach wie vor hat der Anblick etwas Reizvolles, Idyllisches und Anrührendes.
Idyllisch und geruhsam war der Beruf des Hirten zur Zeit Jesu in Palästina nicht. Es war ein harter Beruf, mühevoll, anspruchsvoll, entbehrungsreich. Ein Hirte musste eingreifen, wenn es zwischen den Tieren zu Rangeleien kam. Er musste dafür sorgen, dass die Stärkeren die Schwächeren nicht von den guten Futterstellen und vom Wasser verdrängten. Er musste schauen, dass die trächtigen Tiere und Muttertiere behutsam geführt und verletzte Tiere verbunden wurden. Er musste verlaufenen Tieren nachgehen, sie suchen und zurückholen, oft über weite Strecken und in unwegsamem Gelände. Vor allem musste er aufpassen, dass keine Raubtiere einfallen und Schafe zerreißen. – Also alles in allem eine verantwortungsvolle Aufgabe, die nichts Rührseliges oder Idyllisches an sich hat. Keine Sache für Träumer.
Und Hirten wussten um ihre Verantwortung. Für jedes verloren gegangenes Tier musste der Hirte dem Besitzer Rechenschaft geben und Ersatz leisten.
Die Könige und Machthaber in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens haben sich selbst gern als Hirten gesehen, als Führer und Hüter, die sich kraftvoll für ihre Herde einsetzen, für Recht und Gerechtigkeit sorgen und ihr Volk gegen Gefahren verteidigen. Allerdings, Anspruch und Wirklichkeit klafften oft auseinander.
So heißt es z.B. beim Propheten Ezechiel: „So spricht Gott, der Herr: Wehe den Hirten Israels, die nur sich selber weiden… Die schwachen Tiere stärkt ihr nicht, die kranken heilt ihr nicht, die verletzten verbindet ihr nicht, die verscheuchten holt ihr nicht zurück, die verirrten sucht ihr nicht, und die starken misshandelt ihr… Nun gehe ich gegen die Hirten vor und fordere meine Schafe von ihnen zurück. … Jetzt will ich meine Schafe selber suchen und mich selber um sie kümmern. … Ich werde meine Schafe auf die Weide führen, ich werde sie ruhen lassen. Die verloren gegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten. Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist.“ (Ez 34,1.4.10-11.15-16.23)
Der Prophet geht mit den Hirten, die sich so nennen, aber in Wirklichkeit keine sind, hart ins Gericht. Es sind schlechte Hirten. Es geht ihnen nicht um die Schafe, sondern um sich, um ihre Interessen, um ihren Vorteil, um ihre Macht. Darum verheißt Jahwe, dass er sich jetzt selber um sein Volk kümmern will.
Der gute Hirt, der für seine Schafe sorgt, der sie beschützt und bei Gefahr verteidigt, wurde schon im Alten Testament ein Bild für Jahwe, für Gott selbst.
Und so bekennt der Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte.“ Und Psalm 79 nennt das Volk Israel „die Herde seiner Weide“.
Das Neue Testament geht einen Schritt weiter und überträgt das Hirten-Bild auf Jesus. Er ist für die Menschen da. Er widmet sich ihnen und geht auf sie ein. Er schenkt ihnen sein Wort, seine Zuwendung, seine Liebe. Er erbarmt sich ihrer.
Einmal heißt es (vgl. Mk 6,34): „Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben“, führungslos, orientierungslos, schutzlos. „Und er lehrte sie lange.“ Er widmet sich ihnen. Er schenkt ihnen seine Zeit. Er gibt ihnen Weisung. Er zeigt ihnen den Sinn und das Ziel des Lebens auf.
Schließlich sagt Jesus von sich selbst unmissverständlich und klar: „Ich bin der gute Hirt.“ Und er verdeutlicht sein Hirt-Sein durch drei Aussagen: „Meine Schafe hören auf meine Stimme. Ich kenne sie und sie folgen mir“ (vgl. Joh 10, 14-16).
Da ist eine ganz enge Beziehung, eine große Nähe und Vertrautheit wechselseitig zwischen Hirt und Schafen.
Der gute Hirt kennt jedes Tier. Er weiß um die Eigenart jedes einzelnen und geht liebevoll und fürsorglich damit um. Die Schafe erwidern sein Wohlwollen und seine Zuwendung. Sie haben Vertrauen zu ihm. Sie hören auf seine Stimme und folgen ihm bereitwillig.
Durch den Tod und die Auferstehung Jesu erfuhr das Bild vom Guten Hirten noch eine Ergänzung, eine zusätzliche Interpretation: „Der gute Hirt gibt sein Leben hin für seine Schafe.“
Wie ein guter Hirt sich persönlich einsetzt und alles tut, um seine Schafe zu schützen und zu retten, und sogar bereit ist, für sie in den Tod zu gehen, so hat Jesu sein Leben für die Menschen hingegeben. Er ist für uns gestorben, damit wir das Leben haben (vgl. Joh 10, 11-18).
Die frühen Christen haben das alles verstanden. Deshalb waren die ersten Christusdarstellungen Bilder vom guten Hirten.
Das Schaf, das er auf seiner Schulter trägt, war für sie ein Bild für die verlorene Welt. Er, der Herr, bringt sie zurück. Er macht sich Mühe um sie. Er holt sie heim. Er lässt sich seine Liebe ganz viel kosten. Er geht ganz weit in seiner Liebe.
Von ihm heißt es (Joh 13,1): „Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung.“ Und: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben hingibt für seine Freunde“ (vgl. Joh 14, 13). Christus hat uns geliebt und sich für uns hingegeben.
Auf dem Sockel einer 12. Kreuzwegstation habe ich einmal die Worte gelesen: „Das tat ich für dich. Was tust du für mich?“ Wie weit bin ich bereit zu gehen in meiner Liebe? Gottes Liebe ruft meine, unsere Liebe.
In einem Gebet heißt es: „Christus hat keine Hände, nur unsere Hände, um seine Arbeit heute zu tun…“
Wir alle sind berufen, gute Hirten und gute Hirtinnen zu sein, füreinander und für die Menschen, mit denen wir zu tun haben, die uns begegnen und die uns anvertraut sind.
Können die Menschen in unserem fürsorglichen, achtsamen Umgang miteinander, durch unsere Solidarität mit den Armen und Schwachen und durch unseren Einsatz für die Hilfsbedürftigen etwas von der Hirtensorge Gottes erkennen und erfahren? |
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