geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Advent - Zeit der Stille

(2. Adventssonntag - Lesejahr B)

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Advent, so wird es uns immer wieder gesagt, ist die stillste Zeit im Jahr. Und das stimmt auch, denn es stimmt für all jene, die daraus eine stille Zeit machen, die sich die Zeit nehmen und ruhig werden, die schweigen und lauschen und im Blick auf die kleine Flamme einer brennenden Kerze erfahren, wie sich ihre Seele erwärmt, wie sie schweigend Frieden spürt.

 

Andererseits wissen wir aber auch, wie umtriebig der Advent geworden ist. Und gerade erst am Freitag stand ein Artikel in der Zeitung: Weihnachtsgeschäft – Handel erwartet plus.

 

Es wird also fleißig gekauft und die Menschen stürmen die Kaufhäuser und Läden. Gewiss - der Rubel muss rollen, die Geschäfte müssen laufen und jeder, der seinen Lebensunterhalt zu verdienen hat und sich einsetzt und hart arbeitet, dem sei auch gegönnt, wenn er für seine Leistung den entsprechenden Lohn empfängt.

 

In beides hinein, stille Zeit und Umtriebigkeit, lege ich ein Wort des heiligen Benedikt. Er sagt uns in seiner Regel: „In allem das rechte Maß“. Ein Wort, das bis in die Gegenwart seine Bedeutung nicht verloren hat.

 

Und Hand auf’s Herz: Auch wir als Christen laufen Gefahr, im Trubel dieser Tage nicht mehr zur Ruhe zu kommen und im Hamsterrad der Verpflichtungen so eingespannt zu sein, dass wir das Wesentliche dieser Tage vergessen.

Da gilt es die Geschenke zu kaufen, den einen oder anderen Weihnachtsmarkt zu besuchen und auch die verschiedenen Einladungen zu Weihnachtsfeiern und Konzerten binden uns. Es gibt so vieles, was uns in Trab hält und nicht zur Ruhe kommen lässt. Es gibt so vieles, was abhält uns auf das zu besinnen, was Advent bedeutet.

 

Und darum wünsche ich uns allen für die kommenden Wochen – ihnen und mir selber: Dass wir uns Zeiten der Stille nehmen. Dass wir wieder einmal schweigen und innerlich zur Ruhe kommen und darauf achten, was in unseren Herzen vorgeht.

 

Liebe Schwestern und Brüder, was Schweigen für mein eigenes Leben bedeutet, das finde ich gut und schön in einem Wort von Romano Guardini ausgedrückt. Er hat einmal gesagt: „Erst das Schweigen tut das Ohr auf für den inneren Ton in allen Dingen.“

 

Und an anderer Stelle sagt er: „Schweigen ist mehr als nicht reden. Schweigen ist Fülle, macht, dass Fülle sein könne. Schweigen ist für den Menschen das, was der Resonanzboden für eine klingende Saite ist.“

 

Damit bringt Romano Guardini zur Sprache, dass Schweigen und Hören und Lauschen unserem Leben zu einer größeren Tiefe verhilft und uns wach macht, dass es uns durchlässiger macht für alles, was uns im Leben begegnet.

 

Schweigen und Hören verfeinert unser Wesen, macht uns achtsam und hellhörig für das, was wirklich wichtig ist, was wesentlich ist in unserem Leben.

 

Darum ist das Schweigen und das Hören die Grundhaltung von uns Christen. Denn in dieser Haltung, in dieser lauschenden Aufmerksamkeit kann uns das Wort Gottes berühren und erreichen. Diese Haltung der lauschenden Aufmerksamkeit lässt uns die Botschaft hören und lässt uns erkennen, wozu Gott uns ruft. 

 

Und heute, liebe Schwestern und Brüder, ist ein klarer Ruf an uns ergangen, der vor 2700 Jahren die hörenden Menschen erreichte durch den Propheten Jesaja, der vor 2000 Jahren die hörenden Menschen erreichte durch den Evangelisten Markus und der auch uns heute zu Ohren gekommen ist: „Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Strassen!“

 

Wegbereitung, Straßen ebnen! Das klingt schon fast wieder nach Aktion. Ärmel hochkrempeln, auf geht’s, los geht‘s.

 

Für den Herrn den Weg be-reiten, das heißt aber auch und wohl zuerst, den Weg in unsere Herzen ebnen und ihm eine Straße bereiten, auf der er einziehen kann.

Und da dürfen wir uns auch ganz ehrlich fragen:

Ob es die eine oder andere Hürde gibt?

Ob es das eine oder andere aufzuräumen gilt?

Ob mich vielleicht manches belastet, das ausgesprochen werden müsste?

 

Wir wissen doch alle nur zu gut, dass das Leben nicht immer geradlinig verläuft und dass es auf diesem Weg auch immer wieder Spannungen gibt.

 

Vielleicht steht Versöhnung an, vielleicht wird es eine Erleichterung, wenn ich mein Herz erforsche und alle Erkenntnis ins Bekenntnis bei einer guten Beichte bringe. Und erleben darf, was es bedeutet, losgesprochen zu werden und einen neuen Anfang geschenkt zu bekommen.

 

Den Weg ebnen und eine Straße bereiten für den Herrn. Das setzt voraus, dass wir die Stille suchen, dass wir schweigen und unser Herz auf ihn ausrichten, dass wir erkennen, im Blick auf ihn, wo etwas begradigt und geebnet werden muss, wo es in unserem Leben der Umkehr bedarf, weil wir den Herrn aus dem Blick verloren haben. Und dass wir uns entschlossen daran machen, alles zu tun, ihn wieder in den Blick zu bekommen, ihm den Weg zu ebnen, damit er einziehen kann in unser Herz, damit er zu Weihnachten auch in uns geboren wird. Damit sein Licht in uns leuchte, uns wärme und in uns das Bewusstsein wächst, dass Gott uns an sein Herz ziehen will, dass wir seine geliebten Kinder sind.

 

Denn an Weihnachten bahnt er den Weg vom Himmel zur Erde. Bahnen wir ihm einen Weg in unser Herz! Und machen wir ernst mit dem, was wir singend immer wieder bekennen:

 

„Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist. Ach zieh mit deiner Gnade ein, dein Freundlichkeit auch uns erschein. Dein Heilger Geist uns führ und leit den Weg zur ewgen Seligkeit. Dem Namen dein, o Herr, sei ewig Preis und Ehr.“

Amen.

 

 

Wir sind gewohnt, dass am Sonntag der Prediger auf das Evangelium eingeht und es auslegt.

Mich hat allerdings ein Satz aus der 2. Lesung besonders angesprochen.

Meines Erachtens ist es einer der schönsten und zentralsten Sätze im Neuen Testament.

Und ich meine: Er trifft den Kern unseres Glaubens.

Der Apostel Paulus schreibt da an die Gemeinde in Rom:

„Nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat zur Ehre Gottes!“

 

CHRISTUS HAT UNS ANGENOMMEN!

Knapp und bündig steht es da. Klar und deutlich sagt es der Apostel. Er sagt nicht: Es könnte sein… Oder: Ich hab’ so ein Gefühl. Ganz fest, ganz sicher sagt der Apostel: „Christus hat uns angenommen.“ Für ihn gibt es da gar keinen Zweifel.

 

CHRISTUS HAT UNS ANGENOMMEN!

Das ist Wirklichkeit, Grundwirklichkeit, die seit den Tagen des Damaskusereignisses das Leben des Apostels prägt.

Aber Paulus sagt nicht: Christus hat mich angenommen.

Er spricht im Plural: CHRISTUS HAT UNS ANGENOMMEN.

Auch das steht fest. Auch das ist Wirklichkeit.

In der Taufe hat Christus uns geheiligt und uns in seine Gemeinschaft aufgenommen.

 

CHRISTUS HAT UNS ANGENOMMEN!

Liebe Mitchristen!

Finden Sie nicht auch, dass hier – wie in einem Brennglas – die ganze Frohe Botschaft enthalten ist?

Leuchtet hier nicht die Mitte unseres Glaubens auf?

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Seit längerer Zeit begleitet und fasziniert mich ein Bild vom barmherzigen Samariter. Es stammt aus dem 6. Jahrhundert.

Das auffallende an dem Bild: Der barmherzige Samariter ist Christus selbst. Das Bild zeigt, wie er sich zu dem unter die Räuber gefallenen, am Boden liegenden Armen, Zerschlagenen herabneigt, wie er seine Wunden pflegt und einen Arm stützend und liebevoll unter den Kopf des halbtoten Mannes legt. Gleich wird er ihn aufheben, auf sein Lasttier setzen und ihn zur Herberge bringen.

Christus hat sich zu uns herabgebeugt in Liebe, zu uns Menschen mit unseren Wunden und Verletzungen. Er hat uns aufgehoben, getröstet, geheilt.

Christus hat uns geliebt und sich für uns hingegeben.

Er hat uns den Weg gezeigt zum Vater.

Er hält und birgt uns in seiner Treue.

Er, Christus, ist der barmherzige Samariter, der Helfer, der Beistand, der Retter.

Er ist unser Heiland und Erlöser.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Wir sind in jedem Augenblick unseres Lebens vom Herrn geliebt und gehalten, auch und gerade dann, wenn wir einmal gefallen sind und uns wieder neue Wunden zugezogen haben.

Wir sind ganz und vorbehaltlos bejaht, auch und gerade dann, wenn andere uns nicht bejahen.

Wir sind vom Herrn angenommen, auch und gerade dann, wenn es uns schwer fällt, uns selbst anzunehmen.

Ist das nicht oft etwas vom Schwersten sich selbst anzunehmen, zu sich selbst ja zu sagen?

Ist andererseits dieses Angenommensein und Sich-bejaht-Wissen nicht das, was jeder Mensch braucht, fast mehr noch als Essen und Trinken?

 

CHRISTUS HAT UNS ANGENOMMEN!

Paulus fügt hinzu: „ZUR EHRE GOTTES“.

Ich verstehe da so, dass Jesu Liebe zu uns, uns mit hinein nimmt zum Vater. Das ist wie ein Garantieschein. Christus wird uns garantiert nie fallen lassen und nichts mag uns zu scheiden von dieser Liebe.

 

Ich weiß, liebe Mitchristen, oft zweifeln wir daran, ohne Vorleistung und Bedingung, ja selbst noch im Versagen, angenommen und geliebt zu sein.

Aber Christi Liebe hängt nicht – wie bei uns Menschen oft – von Voraussetzungen und Umständen ab.

Er liebt uns nicht wegen irgendwelcher Qualitäten oder Tätigkeiten oder Tüchtigkeiten.

Er liebt uns nicht, weil wir so brav und solange wir lieb sind.

Er liebt uns so, wie wir sind. Er liebt uns immer und durch alles hindurch und über alles hinaus.

Ich sage es noch einmal: Christi Liebe ist vor allem, was wir bringen, leisten und vorweisen können.

Wir können sie uns nicht verdienen und brauchen es auch nicht.

Diese Liebe kommt nicht aus uns, sie kommt zu uns.

Sie ist reine Gabe. Sie ist Geschenk. Und sie ist größer als alle Schuld.

 

„Ich bin gekommen“, sagt Jesus, „um zu heilen, was verwundet ist und um zu suchen, was verloren war.“ – „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“

Gott, nicht Rächer, sondern Retter. Er will nicht unser Verderben, sondern unser Heil.

 

CHRISTUS HAT UNS ANGENOMMEN ZUR EHRE GOTTES!

Das ist das Erste. Das steht am Anfang.

Der Apostel lenkt den Blick auf das, was der Herr für uns getan hat.

An einer anderen Stelle sagt er: „Christus hat uns geliebt und sich für uns hingegeben.“

Das erste ist die Liebe Christi. Sie kommt vor allem.

Ganz, ganz weit ist er gegangen in seiner Liebe.

Ganz viel hat er sich diese Liebe kosten lassen.

Im Johannesevangelium heißt es: „Da er die Seinen liebte, liebte er sie bis zur Vollendung.“

 

Sehen Sie, liebe Schwestern und Brüder, die Menschen, die Jesus begegnet sind, haben etwas gespürt von der rettenden, heilenden, Leben spendenden Kraft der Barmherzigkeit und Liebe Jesu: der Zöllner Zachäus z. B., die Sündern, die Ehebrecherin…

Und noch am Kreuz verspricht er dem Schächer Heil und Leben.

 

Im 4. Hochgebet heißt es: „Den Armen verkündete er die Botschaft vom Heil, den Gefangenen Freiheit, den Trauernden Freude.“

Jesu ausgestreckte Arme am Kreuz sind Zeichen seiner Liebe.

Sein durchbohrtes Herz ist Zeichen seiner Liebe.

Jesus selbst sagt: „Eine größere Liebe hat niemand als wer sein Leben hingibt für seine Freunde.“

 

CHRISTUS HAT UNS ANGENOMMEN ZUR EHRE GOTTES!

Diesen fundamentalen Satz schickt der Apostel noch etwas vor­aus, nämlich: „Nehmt einander an, wie Christus uns angenommen hat!“

CHRISTUS HAT UNS ANGENOMMEN!

Das gilt. Das ist irreversibel, unumstößlich.

Aber auch das andere gilt, ja es wächst daraus:

NEHMT EINANDER AN! – Wie Christus uns, so wir einander!

 

„Nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes.“

Ist das nicht ein adventlicher Auftrag, liebe Schwestern und Brüder?

Könnte das nicht ein Programm sein für die Zeit bis Weihnachten? Wäre das nicht für jeden von uns eine Möglichkeit, den Umkehrruf Johannes des Täufers zu verwirklichen und in täglichen kleinen Schritten dem Herrn den Weg zu bereiten?

„Bringt Früchte hervor, die eure Umkehr zeigen!“ ruft Johannes seinen Zuhörern zu.

Einander annehmen, wie Christus uns angenommen hat zur Ehre Gottes.

Wäre das nicht eine wunderschöne Frucht dieser Adventstage?

 

CHRISTUS HAT UNS ANGENOMMEN; einen jeden von uns.

Schenken auch wir einander etwas von der Erfahrung dieses Angenommenseins.

Je mehr wir uns jetzt schon darum bemühen und uns darin üben, desto froher und desto glaubwürdiger können wir Weihnachten feiern, das Fest der Liebe, desto echter und inniger können wir dann singen: „In deine Lieb’ versenken, will ich mich ganz hinab.“

Seine Liebe ruft unsere Liebe.

 

NEHMT EINANDER AN; WIE AUCH CHRISTUS UNS ANGENOMMEN HAT ZUR EHRE GOTTES!