|
||||
O Heiland, reiß die Himmel auf Predigt zum Adventslied von Friedrich Spee
|
||||
Liebe Schwestern und Brüder! Heute möchte ich einmal in der Predigt nicht wie gewohnt auf die Lesungen der heiligen Messe eingehen, sondern auf das Lied „O Heiland, reiß die Himmel auf“. Es gehört zu den Adventsliedern, auf die ich mich jedes Jahr freue. Bevor wir uns jedoch dem Lied zuwenden, ist es notwendig und gut, etwas über den historischen Hintergrund zu erfahren, in dem es entstanden ist und besonders über Friedrich Spee, von dem der Text des Liedes stammt.
Friedrich Spee wurde 1591 in Kaiserswerth bei Düsseldorf geboren. Mit 19 Jahren trat er in den Jesuitenorden ein. In Würzburg und Mainz erhielt er seine Ausbildung. Später wurde er Professor für Philosophie und Moraltheologie in Paderborn, Köln und Trier.
Drei schlimme Ereignisse bzw. Zeitumstände prägten das Leben von Friedrich Spee: der 30-jährige Krieg, die Pest und die Hexenverfolgung. Der 30-jährige Krieg brachte Mord und Totschlag, Brandschatzung und Plünderung, Hungersnöte und große Armut. Dazu kamen Krankheiten und Seuchen. Es wütete die Pest. Am Ende des Krieges waren ganze Landstriche ausgestorben. Gut ein Drittel der Bevölkerung Deutschlands war hinweggerafft. Eine weitere fürchterliche Zeiterscheinung war die Hexenverfolgung. Als Seelsorger besuchte Pater Spee die verurteilten Frauen in den Gefängnissen. Er begleitete sie auf ihrem letzten Weg, dem Gang zum Scheiterhaufen. Die Ängste, die Verzweiflung und die Not dieser Frauen kannte er sehr genau. Und er litt darunter. Als einer der ersten trat er gegen Hexenjagd und Folter auf. Schließlich entschloss er sich, eine öffentliche Anklageschrift gegen die Hexenprozesse und den Wahnsinn der Hexenverfolgungen zu schreiben.
1631 verfasste er die berühmte „Cautio Criminalis“. Dieses Buch hat entscheidend dazu beigetragen, den Hexenwahn zu überwinden. Aber es hätte ihn fast Kopf und Kragen gekostet, wenn er nicht in seinem Orden hätte untertauchen können. Man versetzte ihn heimlich von Paderborn nach Trier. In Trier widmete sich Pater Spee seelsorglich und pflegerisch der Pestkranken. Dabei infizierte er sich und starb mit 44 Jahren selbst an dieser Krankheit.
Und nun zum Lied: Friedrich Spee schrieb das Adventslied 1622 vor dem Hintergrund der soeben geschilderten Zeitumstände. Das Lied ist zuerst anonym erschienen. Es handelte sich um einen „gesungenen Katechismus“, eine Liedersammlung, mit dem die Jesuiten vor allem die Jugend erreichen wollten und damit auch Erfolg hatten.
Unserem Lied „O Heiland, reiß die Himmel auf“ war folgende Erklärung vorangestellt: „Wie sehr die heiligen Propheten und Patriarchen Christus ersehnten, was Jesaja prophezeit hat und was im Alten Testament an Figuren von ihm abgebildet war“
In dem Lied kommt also die Sehnsucht derer zum Ausdruck, die den Messias, den Gesalbten, Christus, noch erwarteten. Friedrich Spee damals und wir Christen heute wissen, dass Gott in seiner Sehnsucht – „für uns und um unseres Heiles willen“ – Mensch geworden ist, dass er in seinem Sohn, in Jesus Christus, gekommen ist und unser menschliches Los geteilt hat von der Geburt bis zum Tod. Das feiern wir an den großen Festen, an Weihnachten, Karfreitag, Ostern. Wir bekennen Jesus Christus als unseren Erlöser und Heiland. Und doch feiern wir jedes Jahr neu Weihnachten und rufen und sehnen den Heiland, den Erlöser herbei. „Maran atha – Komm, Herr Jesus!“ Wir erwarten seine Wiederkunft in Herrlichkeit.
Wir singen die 1. Strophe: O Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab, vom Himmel lauf. Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für.
Liebe Schwestern und Brüder! Ist Ihnen das Ungestüme in dieser Strophe aufgefallen ist? Haben Sie gemerkt, wie energiegeladen das Lied daherkommt, wie da fast die Fetzen fliegen? – Dreimal haben wir das Wort „reißen“, und zwar als Aufforderung. Die Himmel sollen aufgerissen werden, Tor und Tür ebenso, Schloss und Riegel gar abgerissen. Das klingt fast gewalttätig, zumindest drängend. Es ist ein verzweifelt stürmisches Rufen. Gott möge handeln, er möge eingreifen. Und das nicht irgendwann einmal, sondern auf der Stelle. Es ist höchste Zeit. Übrigens, im ganzen Lied kommen 18 Imperative vor.
Von wegen „Jingle Bells“ oder „Süßer die Glocken nie klingen“. Da ist nichts von romantisch heimeliger Adventsstimmung, nichts von vorweihnachtlicher Glühwein-Wärme, keine Gemächlichkeit oder Gemütlichkeit, wie wir sie uns für den Advent und Weihnachten wünschen. Der Advent will ja auch mehr sein als eine beschauliche Einstimmung auf Weihnachten. Er will uns nicht besinnlich machen, sondern zur Besinnung bringen. Er will uns aufrütteln, wach machen und zur Umkehr bewegen.
„O Heiland, reiß die Himmel auf! Herab, herab vom Himmel lauf!“ – Diese Zeilen unseres Liedes hat Friedrich Spee fast wörtlich dem Alten (Ersten) Testament entnommen. Beim Propheten Jesaja heißt es: „Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab, …“ – Ein Hilfeschrei aus großer Not. Wie dem Volk Israel damals im Exil, in der Verbannung, so ist es vielen Menschen zurzeit von Friedrich Spee ergangen. Geht es nicht unzähligen Menschen heute noch so?
Wir singen die 2. Strophe: O Gott, ein‘ Tau vom Himmel gieß, im Tau herab, o Heiland, fließ. Ihr Wolken, brecht und regnet aus den König über Jakobs Haus.
Diese Strophe klingt zunächst etwas zahmer. Tau, der vom Himmel gegossen werden soll. Das Bild vom Tau kommt oft in der Bibel vor. Tau erfrischt, erquickt, belebt. Dann aber wird es auch in dieser Strophe nochmals heftig: „Ihr Wolken brecht und regnet aus!“ Wie ein Wolkenbruch, wie ein prasselnder Starkregen soll es den Heiland, den Retter vom Himmel herabschwemmen. Oder umgekehrt – wie es die 3. Strophe beschreibt - aus der Erde heraustreiben.
Wir singen die 3. Strophe: O Erd, schlag aus, schlag aus o Erd, dass Berg und Tal grün alles werd. O Erd, herfür dies Blümlein bring, O Heiland aus der Erde spring.
Von oben, von unten – es ist gleichgültig, woher der Retter kommt, wenn er nur kommt! Und Gerechtigkeit bringt und Freiheit und Frieden! – Es ist eine tiefe Sehnsucht, die sich in diesem Lied ausdrückt. Leidenschaftliche Sehnsucht, stürmisches Verlangen, nach einer Welt, wie Gott sie gewollt hat, als er „am Anfang“ Himmel und Erde schuf.
Die Welt, in der wir leben, aber ist nicht so – immer noch nicht! Syrien, Libanon, Afghanistan, Bangladesch, Belarus… Das sind Orte, an denen immer noch das Unrecht zum Himmel schreit. Unrecht und Elend, an das wir uns nicht gewöhnen dürfen, auch wenn es täglich über unsere Fernseher flimmert. – Und in unserer Gesellschaft und in unserem eigenen Leben: Wieviel ist auch da nicht heil, nicht ganz, nicht in Ordnung? Sehen und erleben wir es nicht jeden Tag?
Wir singen die 4. Strophe: Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O Komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal.
Die Welt ist nicht in Ordnung. Das war zurzeit von Friedrich Spee nicht anders als heute. Gleicht die Welt nicht manchmal einem Tollhaus? So viel Verwirrung! So viel Unsicherheit und Ausweglosigkeit! So viel Dunkel und Angst! So viel Leid und Not! Friedrich Spee nennt die Erde am Schluss dieser Strophe ein Jammertal. Ist nicht manches, vielleicht sogar vieles auch heutzutage zum Heulen? „Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt?“ Nur wenige Christen haben diese Frage so leidenschaftlich gestellt wie Friedrich Spee.
Wir singen die 5. Strophe: O klare Sonn, du schöner Stern, dich wollen wir anschauen gern. O Stern geh auf, ohn deinen Schein in Finsternis wir alle sein.
War die 4. Strophe geprägt vom Kontrast „höchster Saal“ – „Jammertal“, so verschärft die 5. Strophe den Kontrast noch durch den Gegensatz von „Sonne, Stern, Schein“ einerseits und „in Finsternis wir alle sein“ andererseits. Wie lange noch die Nacht? Wann bricht endlich der Morgen an? Die Sonne möge aufgehen! Wenn sie nicht scheint, sind und bleiben wir in der Finsternis. Mit Sonne ist Christus gemeint. In einem anderen Lied wird er „Sonne der Gerechtigkeit“ genannt. Und auch da die Bitte: „Gehe auf zu unserer Zeit.“
Wir singen die 6. Strophe: Hier leiden wir die größte Not, vor Augen steht der ewig Tod. Ach komm, führ uns mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland.
Liebe Schwestern und Brüder! In dieser Strophe bringt Friedrich Spee noch einmal die Situation hier auf dieser Welt und in diesem Leben auf den Punkt: „Hier leiden wir die größte Not.“ – Dazu kommt die Gewissheit des Todes: „Vor Augen steht der ewig Tod.“ Friedrich Spee und den Menschen seiner Zeit stand der Tod viel mehr vor Augen als uns heute. Damals sind die Menschen im Durchschnitt nur halb so alt geworden wie heute. Für uns ist der Tod oft weit weg? Wer denkt schon daran? Außerdem wird er sehr stark tabuisiert. Mitten im Leben vom Tod umfangen zu sein, dieses Bewusstsein war den Menschen früherer Zeiten viel mehr zu Eigen als uns heute.
Mit der Bitte „Ach komm, führ uns mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland“ bringt Friedrich Spee die Ewigkeitsperspektive in den Blick, die viele Menschen heute verloren haben. Es ist die flehentliche Bitte, an der Hand genommen und dorthin geführt zu werden, wo das Elend ein Ende hat, nämlich bei Gott, in seiner Herrlichkeit, in seinem Licht, in seinem Frieden.
Im Gegensatz zu Friedrich Spee und seinen Zeitgenossen leben wir – zumindest hierzulande – im Frieden. Wir leben im Wohlstand. Trotzdem leben wir nicht im Paradies. Jeder kennt Sorgen, Ängste, Nöte, Elend… Und das nicht nur bei anderen. – Nach vielen O-Rufen im Lied (alle drei ersten Strophen beginnen mit „O“, sechs weitere „O“ folgen) setzt Friedrich Spee in der letzten Strophe ein „Ach“ – „Ach komm, für uns mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland.“
Liebe Mitchristen! Friedrich Spee kannte die hebräische Bibel. Viele Bilder sind daraus entnommen, besonders dem Propheten Jesaja. – Aber er kannte auch die Liturgie, z.B. die sieben O-Antiphonen – O-Rufe, die auch heute noch ab dem 17. Dezember als Antiphonen das Magnifikat in der Vesper umrahmen. Alle drei ersten Strophen des Liedes beginnen mit „O“, sechs weitere sind im Lied enthalten.
Liebe Schwestern und Brüder! Das Lied von Friedrich Spee ist fast 400 Jahre alt. Aber es hat nichts an Aktualität eingebüßt. Angesichts einer Pandemie, die wir trotz aller Anstrengung und vielen Mitteln nicht recht in den Griff kriegen, angesichts von Krieg und Terror, Hunger und Armut, millionenfachem Flüchtlingselend und schrecklichen Naturkatastrophen können wir uns dieses Lied ohne weiteres zu eigen machen und – wie Jesaja und Friedrich Spee – uns nicht scheuen, Gott in den Ohren zu liegen. Denn je bedrängender das Leben, je zerbrechlicher und verwundeter die Welt, umso schreiender ist unsere Sehnsucht nach Heil. Die Sehnsucht, dass sich Gott mitten in der verstörenden Realität zeigt und nahe ist – rettend, tröstend, leidenschaftlich. Dass Gott wirklich den Himmel zerreißt, um unser – aus den Fugen – geratenes Leben zu teilen und zu umfangen, das ist die unerhörte Zusage des Adventes. |
||||
|