Ein Gouverneur
in Indien unterbricht seine Reise, um einem bekannten geistlichen Meister seine
Ehrerbietung zu erweisen. Frank und frei sagt er gleich: „Staatsgeschäfte lassen
mir keine Zeit für lange Abhandlungen oder gelehrte Erörterungen. Könnt Ihr den
Kern Eurer Weisheit, das Wesentliche der Religion für einen aktiven Menschen wie
mich in eins, zwei Sätzen zusammenfassen?“ – „Ich werde es in einem einzigen
Wort tun.“ „Unglaublich! Wie heißt dieses außergewöhnliche Wort?“ – „Stille“.
nach Antony de
Mello
Unsere
Zeit ist
hektisch, betriebsam, schnelllebig, lärmerfüllt.
Dazu kommt: Viele
fühlen sich wie in einem Hamsterrad: ständig beansprucht, pausenlos gefordert,
immer auf Trab, dauernd in action, eingespannt und darum angespannt, übermüdet,
gereizt, erschöpft.
Ist das
im Advent anders?
Eigentlich will er und sollte er doch „die stillste Zeit im Jahr“ sein?
Aber ist er das noch?
Schon lange nicht
mehr, auch bei uns nicht, die wir uns Christen nennen: eine Zeit ohne laute
Tanzvergnügen, ohne glanzvolle Orgelmusik, ohne üppigen Blumenschmuck in der
Kirche, eine Zeit der Besinnung, der Umkehr und Erwartung.
Zwar
gilt die Adventszeit nicht mehr als Bußzeit, jedoch deutet schon das Violett des
Messgewandes und der Verzicht auf das Gloria in der Liturgie auf den nüchternen
und ernsten Charakter der Adventszeit hin.
Und
draußen, so der
Eindruck, da ist diese Zeit noch lauter, noch lärmerfüllter, noch hektischer und
stressiger als sonst.
Kein Kaufhaus
ohne stimmungsmachende Weihnachtslieder, keine Stadt ohne Weihnachtsmarkt und
Musikberieselung aus zig Lautsprechern. Vorweihnachtlicher Trubel, Konsumrausch.
Und eine „Weihnachtsfeier“ jagt die andere.
Und wir
selbst
beschäftigt mit Hausputz, Plätzchen-Backen, Weihnachtspost, Geschenke besorgen,
Inventur, Jahresabschluss und vieles mehr. Weihnachtsrummel und Weihnachtsstress
nennen wir das. Hektik und Unrast macht sich breit.
Und damit
einhergehend Ungeduld, Gereiztheit, Ärger, oft auch Spannungen und Konflikte,
Neid und Streit.
Der
dänische Philosoph Sören Kierkegaard schreibt einmal:
„Die Welt ist
krank! Wenn ich Arzt wäre und man mich fragen würde, was getan werden sollte? –
Ich würde antworten:
Das erste, was
geschehen muss, ist: Schaffe Schweigen!
Hilf anderen
zum Schweigen!“
Was Kierkegaard
fordert ist leichter gesagt als getan!
Wir wissen, wie
schwer es ist zur Stille zu finden. Je unruhiger wir sind, umso schwerer
ertragen wir Stille und Schweigen.
Doch was für
einen Wert hat die Stille?
Was bringt einem
Einkehr und Besinnung?
Dazu eine
Geschichte:
Zu einem
Einsiedler kamen Leute und fragten ihn: “Was für einen Sinn siehst du in deinem
Leben in dieser Stille und Einsamkeit?“
Der Mönch war
gerade dabei, im Klosterhof mit einem Eimer Wasser aus dem Brunnen zu holen. –
Er sagte zu den Besuchern: „Schaut in den Brunnen, was seht ihr da?“
Sie schauten
hinein. „Wir sehen gar nichts.“ – Nach einer Weile forderte der Mönch die
Besucher noch einmal auf, in den Brunnen zu schauen. Als sich die Leute über den
Brunnenrand beugten, fragte er sie: „Was seht ihr jetzt?“ – Sie antworteten:
„Jetzt sehen wir wie sich der Himmel im Wasser spiegelt und wir sehen uns
selbst.“
„Seht ihr“,
sagte der Mönch, „das ist die Erfahrung der Stille, das ist der Wert des
Schweigens. Du siehst den Himmel. Du siehst dich selbst. Du blickst wieder durch
und siehst klarer“
Als der Mönch das
Wasser schöpfte, war es in Bewegung, in Unruhe. Die Leute sahen nichts. Das
ruhige Wasser aber spiegelte den Himmel und die Leute sahen sich selbst.
Stille
und Schweigen
machen uns fähiger zum Aufnehmen, zum Empfangen, zum Wahrnehmen. Wir erkennen
uns selbst.
Aber auch
Verdrängtes und Weggeschobenes kann hoch kommen, Ängste, Sorgen, Misstrauen,
Rachegedanken, Schuldgefühle… - Deswegen scheuen manche die Stille oder halten
sie nur schwer aus, flüchten in die Arbeit, suchen Unterhaltung und Ablenkung.
Stille
und Schweigen
vermögen zu klären, zu reinigen.
Die Dinge setzen
sich. Leben vermag sich zu ordnen.
Meine
Erfahrung ist:
Wenn man mit sich selbst zur Ruhe kommt, wenn es still in einem wird, wenn auch
das Ich schweigt, dann sieht man die Welt und das Leben mit anderen Augen.
Und noch
etwas: Ich
vermag auch besser auf Gott zu hören, auf sein Wort, auf seine Klopfzeichen, auf
seine leise Stimme in mir.
Wenn ich nämlich
laut bin, dann ist Gott nicht noch lauter.
Wichtig
aber ist, nicht
nur den äußeren Lärm zu meiden und sich der Flut der Worte zu entziehen, sondern
auch das Gebrodel der Gedanken zu beruhigen und den schrillen Chor der inneren
Stimmen zum Schweigen zu bringen.
Man muss
still sein,
schweigen und warten, um zu erfahren, dass Gott nicht im Lauten ist, im Getöse,
im Spektakulären, sondern im leisen Säuseln des Windes, in der Stimme der
Stille, „im leise verschwebenden Schweigen“, wie M. Buber übersetzt.
Das ist
die Erfahrung,
die Elija am Berg Horeb gemacht hat.
Das ist auch die
Erfahrung vieler Gestalten der christlichen Spiritualität, angefangen von den
Wüstenvätern und den großen Ordensgründern über die Mystiker bis hin zu Therese
von Lisieux, Bruder Konrad von Parzham oder Edith Stein:
Die Stille ist
der Raum der Gottesbegegnung.
Das Schweigen der
Ort seiner bes. Nähe und Gegenwart.
In der
Stille des Herzens,
da, wo ich nicht mehr plane und überlege, wo ich nicht mehr über andere
nachdenke und urteile, da, wo ich auch aufhöre, mich selbst zu bewerten,
da wird Gott in
mir geboren.
Im
Schweigen, wenn
ich alles loslasse und mir keine Gedanken mehr machen, auch nicht über Gott, da
zeigt sich Gott als der Nahe, als der, der da ist. Und in Gott erfahre ich dann
mein wahres Selbst. – Ich werde frei von allem Zwang, mich beweisen, mich
rechtfertigen, mich erklären zu müssen. Und das ist unwahrscheinlich entlastend
und befreiend. Es macht ruhig und gelassen.
So gesehen
sind in der Tat – nach einem Wort von Friedrich Nietzsche „die größten
Ereignisse nicht die lautesten, sondern unsere stillsten Stunden.“ Oder wie
Sören Kierkegaard sagt:
„Wenn
alles still ist, geschieht am meisten“.
Liebe
Schwestern und Brüder!
Ob die beginnende
Adventszeit nicht auch Gelegenheit sein könnte, die Stille wieder zu achten und
sie zu üben?
Lärmquellen, wenn
möglich, abschalten! Geräuschkulissen meiden! Und ab und zu ganz bewusst für
Stille sorgen und Schweigen schaffen.
Nicht noch mehr
rennen, noch mehr hasten – und dabei ja oft auch vor sich selbst davon laufen –
sondern ruhig werden, still werden. Dann wird der Advent zu einer gesegneten
Zeit.
Johannes
Tauler, der große Mystiker des Mittelalters schreibt: „Gott spricht nur ein einziges
Wort. Und dieses Wort ist sein Sohn. Er spricht es in tiefstem Schweigen. Darum
kann der Mensch es auch nur im Schweigen vernehmen.“
Gott ist
ein Freund der Stille. Hüten wir gerade in diesen Tagen die Stille und wir werden
erfahren, dass die Stille uns hütet!
Es geht darum,
bei uns selbst anzukommen, damit wir die Ankunft Jesu Christi erleben können und
die Weihnacht, der wir entgegengehen, wirklich als „Stille Nacht“ und „Heilige Nacht“ erfahren, als Fest der Liebe und des Friedens.
Werner
Bergengruen drückt in einem Gedicht seine Erfahrung und seine Hoffnung bezüglich
Stille so aus:
„Wir sind so
sehr verraten, von jedem Trost entblößt.
In all den
schrillen Taten ist nichts, was uns erlöst.
Wir sind des
Fingerzeigens, der plumpen Worte satt.
Wir woll’n den
Klang des Schweigens, das uns erschaffen hat.
Gewalt und
Gier und Wille der Lärmenden zerschellt.
O komm, Gewalt
der Stille, und wandle du die Welt.“ |