geistliche Impulse

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Predigt von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Hinüberschauen – Abschiednehmen – Loslassen

Predigt beim Seelenamt für meine

 Patentante Cäcilia Schneider

 

Ein Hirt saß bei seiner Herde am Ufer eines großen Flusses, der am Rande der Welt fließt. Wenn er Zeit hatte, schaute er über den Fluss und spielte auf seiner Flöte. Eines Abends kam der Tod über den Fluss herüber und sprach: „Ich komme und möchte dich mitnehmen. Ich möchte dich mitnehmen auf die andere Seite des Flusses. Hast du Angst?“ – „Warum Angst?“, fragte der Hirte, „ich habe immer hinübergeschaut, seit ich hier bin. Ich weiß, wie es dort ist.“ – Da legte ihm der Tod die Hand auf die Schulter, und der Hirte stand auf. Dann nahm ihn der Tod an die Hand und fuhr mit ihm über den Fluss …  Das Land am anderen Ufer war ihm nicht fremd, dem Hirten. Und die Töne seiner Flöte, die der Wind hinübergetragen hatte, waren noch da.

 

Diese Geschichte passt meines Erachtens gut zu eurer Mutti, lieber Bruno und liebe Ursula, zu eurer Schwiegermutter, liebe Gabriele und lieber Georg,  zu eurer Oma und Uroma, zu eurer Schwägerin, zu unserer Patentante.

 

„Hast du Angst vor dem Tod?“ – „Warum Angst? – Ich habe immer hinübergeschaut, seit ich hier bin.“

 

Cäcilia Schneider hat hinübergeschaut, wenn sie die Eucharistie mitgefeiert hat und sich dabei in das Leben und Sterben Jesu vertieft hat. Die heilige Messe hat ihr viel bedeutet, sie war ihr kostbar. Nicht nur sonntags, auch werktags hat sie sich dafür Zeit genommen, hat sich auf den Weg gemacht. Wenn in Neuhermsheim kein Gottesdienst war, ist sie mit dem Fahrrad oder mit der Straßenbahn in andere Kirchen gefahren.

 

Sie hat hinübergeschaut, wenn sie Sonntag für Sonntag im Glaubensbekenntnis gesprochen hat: „Ich glaube an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben“.

 

Sie hat hinübergeschaut, wenn sie gebetet hat.

Und sie war eine große Beterin. Sie konnte viele Gebete auswendig. Täglich ging sie in den letzten Jahren, solange es möglich war, zur Lourdesgrotte, hat sie sauber gehalten, für Blumenschmuck gesorgt und bei der Muttergottes eine Kerze angezündet.

Im Gebet hat sie immer wieder Halt gefunden. Im Gebet hat sie sich Kraft und Mut schenken lassen. Sie hat auch viel für andere gebetet, besonders auch für die ihr nahestehenden Menschen und Segen geschickt nach Wört, nach Einbeck, nach Mannheim und Hettingen und zu ihren Enkelkindern, denen sie in Liebe verbunden war.

 

Sie hat hinübergeschaut. Sie hat darauf vertraut und daran geglaubt, dass es das jenseitige Ufer gibt. Sie war fest davon überzeugt, dass sie dort erwartet wird von ihrem Mann, von allen Engeln und Heiligen und nicht zuletzt von Gott. – Und dieser Glaube hat ihr Kraft gegeben auch in schweren Stunden.

 

„Hast du Angst?“ – Angst vor dem Tod hatte sie nicht, zumindest nicht in den letzten Jahren ihres Lebens. Sie hat das Sterben herbeigesehnt. Sie hat sich gewünscht, von Gott heimgerufen und heimgeholt zu werden.

 

Sie hat über den Fluss geschaut und hat durch ihren Einsatz für ihre Familie, durch ihr Engagement für andere, durch ihre Mitarbeit in der Pfarrei oder im Thomasheim, durch ihr Interesse am Zeitgeschehen, durch ihre Freude an der Natur, besonders auch an ihrem Garten, die Melodie ihres Lebens gleichsam ans andere Ufer hinübergespielt.

Auch durch ihre Hilfsbereitschaft, durch ihre Großzügigkeit im Geben und Schenken hat sie hinübergeschaut und viele wohlklingenden Töne und viel Gutes vorausgeschickt ans jenseitige Ufer. Ich erinnere mich, wie sie einmal gesagt hat: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“

 

Von dem Jesuitenpater Alfred Delp, in Mannheim geboren und von den Nazis 1945 ermordet, stammt der Satz:

„Wenn durch einen Menschen ein wenig mehr Liebe und Güte, ein wenig mehr Licht und Wahrheit in der Welt war, dann hat sein Leben einen Sinn gehabt.“ – Das Leben von Cäcilia Schneider hatte Sinn. Es war ein erfülltes Leben.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Töne ihres Lebens bei Gott angekommen sind, dass bei ihm kein Ton ihrer Lebensmelodie verlorengegangen ist, dass ihr Leben vor ihm einen guten Klang hat.

 

„Hast du Angst vor dem Tod?“ – „Warum Angst? Ich habe immer hinübergeschaut …“

Der Tod eines Menschen, der uns nahe stand, kann auch uns dazu bringen, nicht jenseits- und gottvergessen zu leben, sondern jetzt schon immer wieder hinüberzuschauen, das Abschiednehmen einzuüben, das Loslassen zu lernen, und uns wieder bewusst zu machen, dass das Leben ein Geschenk ist. Wir dürfen es dankbar annehmen. Wir dürfen und sollen seine Möglichkeiten ergreifen und nutzen. Aber festhalten können wir es nicht. Wir sind nur Gast auf Erden.

 

„Ich habe immer hinübergeschaut, seit ich hier bin.“

Ob wir das sagen können, wenn der Tod an unsere eigene Tür klopft? Wir können jetzt schon damit anfangen hinüberzuschauen, indem wir – wie Cäcilia Schneider – gläubig, vertrauen und liebend unseren Weg gehen. Dann brauchen auch wir vor dem Tod keine Angst zu haben.

Und beim Tod eines anderen Menschen, auch wenn er uns sehr lieb und sehr teuer war und wir den Verlust schmerzlich spüren, können wir zu einer Haltung finden, die der Apostel Paulus als „Trauern mit Hoffnung“ bezeichnet.

 

„Wir trauern“ war beim „Betreff“ der Email geschrieben, mit der mir den Tod eurer Mutter und unserer Patentante mitgeteilt wurde. Ja, wir trauern. Das ist menschlich und ganz natürlich. Aber als Christen trauern wir nicht wie diejenigen, die keine Hoffnung haben.

 

Paulus fragt die Christen in Rom: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“ Seine Antwort: „Ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe, noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesu ist, unserem Herrn.“ (Röm 8, 35.38 - 39).

 

Trösten wir uns gegenseitig in der Hoffnung und im Glauben an das größere, das ewige Leben; im Glauben an ein Wiedersehen am jenseitigen Ufer, im Himmel, in der Seligkeit bei Gott, die ohne Ende ist.