Exerzitien mit P. Pius

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Jahresrückblick 2010

 

Zell a. H im Advent 2010

Liebe Verwandte, Freunde und Wohltäter!

Wie gut, dass es Weihnachten gibt!

Nicht nur, um Gottes Kommen in unsere Welt zu feiern, sondern auch aus dem ganz einfachen Grund, weil das Fest Anlass gibt, Verbindung zu Menschen aufzunehmen, die einem nahe stehen oder etwas bedeuten, Anlass, ein paar liebe Zeilen zu schreiben, Festtagsgrüße zu senden und gute Wünsche zu übermitteln.

 

Ich will diesen Weihnachtsrundbrief auch wieder nutzen, um auf das vergangene Jahr zurückzuschauen. Was hat mich berührt, bewegt, beschäftigt?

 

Verlust – Trauer – gläubige Zuversicht

Im März dieses Jahres ist im 90. Jahr seines Lebens mein Vater verstorben, ich möchte lieber sagen: „Er ist von Gott heimgerufen worden“.

Viele Jahre waren mir und meinen Geschwistern mit ihm geschenkt. Dafür bin ich und sind wir sehr dankbar. Wenn ein Elternteil geht, ist das schmerzlich. Wenn dann der zweite Elternteil nachfolgt, fühlt sich das noch mal ganz anders an. Man spürt den Verlust und die Lücke noch deutlicher. Es ist nicht mehr so wie es vorher war.

 

Ich habe durch den Tod meines Vaters auch die darauf folgenden Kar- und Ostertage noch mal anders, intensiver als sonst erlebt. Ich habe erfahren, wie die Botschaft der Kirche und die Feier der Liturgie, gerade auch die „österliche Dreitagefeier“ (sacrum triduum) Licht und Hoffnung, Trost und Zuversicht in das Dunkel der Trauer bringt.

 

Mein Vater war auf das Sterben und den Tod eingestellt. Er selbst hat oft gesagt: „Ich bin bereit!“ – Sein Leben hat nun seine Vollendung gefunden in Gott. An ihn hat er geglaubt, auf ihn hat er gehofft.

 

Im Seelenamt für meinen Vater habe ich ein Wort von Martin Gutl zitiert. Es lautet: „Ein Mensch, das ist ein wenig Gestern, etwas Heute und unendlich viel Morgen.“ Die Ewigkeitsperspektive relativiert vieles, was sich hier so wichtig gebärdet. Gleichzeitig lässt das Wissen um die Endlichkeit und Vergänglichkeit achtsam und wachsam sein für das, was hier und heute wichtig und dran ist, weil es einmal das ist, was am meisten zählt: Liebe üben, Gutes tun und in Treue und gläubiger Zuversicht Schritt für Schritt den Weg an der Hand Gottes zu gehen.

 

Sünde – Reinigung – Chance

Das zu Ende gehende Jahr ist überschattet von einer dunklen Wolke von Skandalen. So viel Aufregung um die katholische Kirche war lange nicht mehr. Die lawinenartigen Enthüllungen über sexuellen Missbrauch haben das Selbstverständnis der Kirche erschüttert, ihre Glaubwürdigkeit beschädigt und zu eine großen Vertrauenskrise geführt.

Die Fastenzeit 2010 war für die Kirche wirklich Bußzeit geworden. Es war auch für mich eine Leidenszeit. Fast täglich war das Thema „Missbrauch“ in den Nachrichten. Ich war geschockt und entsetzt, was da an Verfehlungen, Perversionen und Abgründen ans Licht kam, zumal wir in Oberharmersbach mit einem der schlimmsten Fälle überhaupt konfrontiert waren.

Wenn ich daran denke, ruft es heute noch in mir Ekel und Abscheu hervor, zum Teil auch Wut, weil auch Zuständige auf Bistumsebene versagt haben, weggeschaut oder durch Verschleierung manche schlimme Tat ermöglicht haben.

 

Die Kirche muss alles in ihrer Macht stehende tun, damit es zu einer inneren Reinigung kommt. Der Papst sagte bei seiner Reise in Portugal: „Der wahre Feind, den es zu fürchten und zu bekämpfen gilt, ist die Sünde und das Böse, das manchmal leider auch Mitglieder in der Kirche ansteckt.“

Es bedarf der Umkehr und Erneuerung. Für den Akt der Reinigung ist es aber auch wichtig, zu differenzieren und der Wahrheit eine Chance zu geben.

 

Ich will auf einige Punkte hinweisen:

 

  1. Zu jeder Zeit und in jeder Hinsicht widerspricht sexueller Missbrauch dem christlichen Menschenbild. Es ist ein verabscheuungswürdiges Verbrechen, wenn Kinder oder Jugendliche in ihrer Personwürde brutal von Erziehern leiblich verletzt und seelisch gedemütigt werden. Ein Vertrauensbruch im allerschlimmsten Sinn liegt vor, wenn ein Gott geweihter Mensch, sich zu solchen schändlichen Taten hinreißen lässt. Tragisch ist es, wenn es die „Hirten“ selbst sind, die sich dermaßen verfehlen und verirren. Dass solches die Kirche ins Mark trifft, ist klar. Auch darf es nicht wundern, dass die Kirche an ihren eigenen Maßstäben und sittlichen Überzeugungen, die sie vertritt, gemessen wird.

  2. Zu sehen ist allerdings auch, dass es sich um Vergehen Einzelner handelt, von denen die allermeisten Fälle Jahrzehnte zurückliegen. Damals hat die Gesellschaft allgemein die seelisch zerstörerischen Folgen für die Opfer unterschätzt, ja die Opfer oft gar nicht im Blick gehabt und aus Angst vor Ansehensverlust und Imageschaden eher die Täter geschützt. Kirche und weltliche Institutionen handelten da gleich: weggucken, schweigen, vertuschen, für einige Zeit aus dem Verkehr ziehen, dann versetzen. Man hat sich pastoral und therapeutisch viel zu wenig um die Opfer gekümmert. Das war selbstverständlich nie richtig.

  3. Zu sehen ist auch, dass der Staatsanwaltschaft jährlich ungefähr 15.000 Fälle von sexuellem Missbrauch angezeigt werden, von der Dunkelziffer ganz zu schweigen. Erwiesenermaßen spielt sich das allermeiste (etwa 90%) im familiären Umfeld ab, anderes in Sportvereinen, auf Schulfreizeiten, in Einrichtungen der Jugendhilfe, in Behindertenstätten usw. In der öffentlichen Debatte konnte man manchmal meinen, das Thema sei ein rein kirchliches Problem. Die Kirche allein an den Pranger zu stellen und sie insgesamt in Sippenhaft zu nehmen, ist ebenso verkehrt wie eine Berufsgruppe in ihr unter Generalverdacht zu stellen. Man muss auch sagen dürfen, dass die allermeisten Priester und Ordensleute Tag für Tag ehrenhaft und in Treue ihren Dienst tun, segensreich wirken und sich mit aller Kraft zum Wohl der ihnen anvertrauten Menschen einsetzen.

  4. Das bittere Thema hat, so kommt mir vor, wochenlang auch herhalten müssen, Abneigung gegen die Kirche zu schüren. Es kam da und dort zum „Missbrauch des Missbrauchs“. Mich hat die Verlogenheit mancher Fernsehsender geärgert, die breit und mitunter genüsslich über Missbrauchsfälle in der Kirche berichteten und gleich danach in Filmen sexuelle Perversionen aller Art zur Unterhaltung anboten. In manchen Medienberichten und Diskussionsbeiträgen hätte ich mir auch mehr Unterscheidungen gewünscht. So wurde z.B. nicht selten sexueller Missbrauch und körperliche Züchtigung in einem Atemzug genannt und in einen Topf geworfen.

  5. Bei allen mitunter diffusen Meldungen, bei allem Stimmengewirr zu diesem Thema, gilt es das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren: das Leid der Opfer. Es verdient eine konsequente und transparente Aufklärung. Bei aller Hilfe, Aufarbeitung, Begleitung, Prävention bis hin zu finanzieller Entschädigung ist klar, dass der Schaden letztlich nicht wieder gut zu machen ist.

 

Die Kirche selbst braucht Läuterung und Buße, gründliche Reinigung, auf dass Vertrauen wieder möglich wird. – Trotz allen Stürmen, denen die Kirche ausge­setzt ist und die dem Schifflein Petri immer wieder zusetzen, habe ich auch in die­sem Fall die Hoffnung, dass das, was geschehen und offenkundig geworden ist, auf lange Sicht zum Kairos werden kann und dass auch diese Krise ihre Chancen hat.

 

Das „Wunder von Chile“

Wie viele, so habe auch ich mit Spannung und Interesse die Rettung der 33 Bergarbeiter in Chile verfolgt und um ihr Schicksal gebangt. Mehr als zwei Monate waren sie in 700 m Tiefe verschüttet und mussten gefangen ausharren, bis sie aus der Tiefe der Unterwelt befreit das Licht des Himmels wieder erblickten.

Es war für mich sehr bewegend, nach der Bergung die Kumpel im gleißenden Scheinwerferlicht kniend und die rauen Hände gefaltet zu sehen. Ebenso ergreifend waren die geradezu religiös-österlichen Worte des chilenischen Präsidenten: „Heute Nacht hat das Leben den Tod besiegt“ und sein Bekenntnis: „Ohne Gottes Hilfe wäre das nicht möglich gewesen.“ Bei aller menschlichen Anstrengung und bei aller Hilfe der Technik war die Rettungsaktion – so sahen es die Betroffenen vor Ort – nicht nur Menschenwerk. Es waren ergreifende Szenen der Erlösung, wenn die Kapsel langsam aus dem schmalen Schacht auftauchte und die Verlorengeglaubten den Ihren begegneten, wenn Frauen ihre Ehemänner, Söhne und Töchter ihren Vater, Geschwister ihren Bruder küssten und umarmten.

Mir fiel das Wort aus der hl. Schrift ein:Ich war tot – und siehe: ich lebe!“ Die Dramaturgie des Geschehens weckte in mir Assoziationen an Ostern und Weihnachten zugleich. Kein Regisseur hätte den Aufstieg der schon Totgeglaubten aus den gesprengten Felsen der Unterwelt in die Helle einer lichterfüllten Winternacht wirkungsvoller inszenieren können.

Angerührt hat mich auch die Aussage des jüngsten, 19 Jahre alten Bergmanns. Jimmy Sanchez sagte: „Ich glaube es war Gottes Wille, dass ich unter Tag bleiben musste. Er wollte, dass ich darüber nachdenke, was ich in meinem Leben ändern muss. Und ich werde jetzt eine ganze Menge ändern.“

 

Und nun noch ein paar persönliche Notizen:

Wir Kapuziner von Deutschland haben wie schon andere Ordensgemeinschaften auf Grund der kleiner werdenden Mitgliederzahlen in diesem Jahr fusioniert. Die rheinisch-westfälische Provinz und die bayrische Provinz haben sich zusammengeschlossen zu der einen deutschen Kapuzinerprovinz. Das Provinzialat hat seinen Sitz in München. Ich war sowohl bei der Abschiedsfeier von unserer rheinisch-westfälischen Provinz Anfang Mai in Münster/Westf. dabei als auch bei dem Vereinigungskapitel, das nach Pfingsten im Kloster Reute stattfand. Beides waren schöne Feiern und im wahrsten Sinne des Wortes brüderliche Treffen, an die ich gute Erinnerungen habe.

In der Folge der Provinzzusammenlegung gab es auch eine Reihe von Versetzungen. Ich bin nicht direkt betroffen, habe meine Bleibe weiterhin in Zell, aber im Konvent gab es einige Veränderungen. Zwei Brüder haben ihre Aufgabe und ihren Platz woanders bekommen und drei Brüder sind neu zu uns gestoßen.

Im Moment befinden wir uns als Gemeinschaft noch in der Phase des Eingewöhnens und der Neuorientierung, was aber auch spannend und reizvoll ist.

Meine Hauptaufgabe sind nach wie vor die Exerzitien verschiedenster Art hier im Haus, zum Großteil aber auch auswärts. Immer noch macht mir diese Aufgabe Freude und ich erlebe sie als lohnend und erfüllend. Es geht mir gut dabei. Wer sich mehr dafür interessiert, findet mein Kursangebot 2011, aber auch Predigten, Vorträge, geistliche Impulse usw. auf meiner Homepage: www.pius-kirchgessner.de  Sie bekommt immer wieder viel Lob. Es lohnt sich, hineinzuschauen. Eine gute Homepage macht viel  Arbeit und kostet viel Mühe. Darum sage ich dem Webmaster, meinem Schwager, der viel Zeit und Kraft investiert, an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön und Vergelt’s Gott!

 

Liebe Verwandte, Freunde und Wohltäter!

 

            Leid und Freude, Schweres und Beglückendes liegen oft nah beieinander. Auch bei Dir/Ihnen/Euch wird es so in 2010 gewesen sein. Das Leben hinterlässt seine Spuren, schöne und schmerzliche. Es ist gut, dass wir alles immer wieder ins Gebet nehmen, zu Gott hintragen und in seine Hände legen dürfen.

An der Krippe können wir uns treffen. Sie ist ein guter Ort, Angst und Not abzugeben, Sorgen und Fragen loszulassen und Licht und Hoffnung zu schöpfen, um mit neuer Kraft u. frohen Mut im Vertrauen auf Gott u. seine Führung weiterzugehen.

 

Der Apostel Paulus schreibt an die Korinther: „Denkt daran, was unser Herr Jesus Christus in seiner Liebe für euch getan hat. Er war reich und wurde doch arm, um euch durch seine Armut reich zu machen.“ (2 Kor 8,9)

 

An Weihnachten feiern wir wieder die Geburt dessen, der „für uns arm wurde“. Möge uns die Feier dieses Geheimnisses innerlich reich machen und mit Freude erfüllen, die uns durch das kommende Jahr begleitet.

 

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