geistliche Impulse

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Vortrag

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Der barmherzige Vater und seine verlorenen Söhne

(Lk 15, 1- 3, 11 - 32)

 

 

Wie soll man dieses Gleichnis nennen?

Am bekanntesten ist es als „Gleichnis vom verlorenen Sohn“.

Gemeint ist der jüngere Sohn, der seinen Teil vom Erbe fordert, auszieht, das Risiko der Freiheit wagt, in die Fremde geht, alles verprasst und verschleudert und am Schluss ganz unten landet, bei den Schweinen, auf unterstem Niveau, auf gut deutsch „unter aller Sau“. Tiefer geht es für einen Juden nicht.

Doch der Tiefpunkt ist auch der Wendepunkt. Er geht in sich, er kehrt um. Er wagt den Weg zurück nach Hause, und – obwohl er sein ganzes Erbe durchgebracht und auf der ganzen Linie Schiffbruch erlitten hat, findet er – zerlumpt und total heruntergekommen – dennoch überraschend herzliche Aufnahme. Er erfährt bedingungslose Annahme. Großzügig erhält er Vergebung. Zumindest von seinem Vater, der nach ihm Ausschau gehalten, der ihn nie aus seinem Herzen entlassen hat, der ihn schon von weitem kommen sieht und ihm mit offenen Armen und verzeihender Liebe entgegeneilt.

 

Denn da ist ja auch noch der ältere Sohn, der daheim geblieben ist, der Korrekte und Ordentliche. Kein Problemkind, kein Sorgenkind, vielmehr ein Musterknabe, ein Vorzeigesohn. Nie ist er ausgeschert, nie hat er über die Stränge geschlagen. Pflichtbewusst ist er, solid, rechtschaffen, tüchtig.

 

Am Ende scheint er aber doch auch irgendwie verloren zu sein.

Voll Zorn und Neid ist er auf seinen Bruder. Er missgönnt ihm das Fest. Alles wehrt sich in ihm, an dieser „Mega-Fete“ für diesen elenden Sünder, diesen „Looser“, diesen Taugenichts teilzunehmen.

 

Voll Groll und Trotz ist er auch gegenüber seinem Vater, für dessen Verhalten dem Jüngeren gegenüber er kein Verständnis hat. Mit so viel Liebe kommt er nicht zurecht. Er reagiert sauer, stocksauer. Es ärgert und erbost ihn gewaltig, dass der Vater Gnade vor Recht walten lässt.  Er sähe den Vater lieber wie er selbst in seinem Innern ist: gerecht, gnadenlos gerecht, hart, engstirnig und unbarmherzig.

Denn wer nicht hören will muss fühlen. Wer nicht pariert, wird bestraft. Wer nichts leistet, bekommt keinen Lohn. Alles hat seinen Preis.

Ist es also „das Gleichnis von den verlorenen Söhnen“?

 

Aber da ist ja auch noch der Vater, der beiden Söhnen entgegengeht, der Vater, bei dem es immer einen Weg zurück gibt, bei dem die Tür immer offen ist und dessen Barmherzigkeit größer ist als alle Schuld. Der Vater, der Würde und Tradition beiseite schiebt, wenn er dem „Schweinehirt“ entgegenläuft, ihn froh und herzlich empfängt und ihm von Neuem das Sohn-Sein schenkt, wofür das Festkleid steht, die Schuhe und der Siegelring.

Der Vater, der vor lauter Freude über den Totgeglaubten das Mastkalb schlachten und ein Fest feiern lässt.

Keine Vorwürfe, keine Strafpredigt, keine Bedingungen. Auch keine Busse, keine Bewährung, keine Wiedergutmachung.

Der Vater, der aber auch um den älteren Sohn wirbt, welcher sich ungerecht behandelt fühlt, der voll Wut, Bitterkeit und Missgunst ist. Auch zu ihm geht er hinaus, redet ihm gut zu, versucht ihn umzustimmen, sein Herz zu öffnen und seine enge Sicht zu weiten.

Ist es also „das Gleichnis vom barmherzigen Vater“?

 

Sehr oft, wird dieses Gleichnis auch als „Evangelium im Evangelium“ bezeichnet, und zwar wegen des einmaligen, ja grandiosen Gottesbildes, das Jesus in diesem Gleichnis zeichnet.

Gott ist gut. Er verzeiht. Es gibt keine Sünde, die er nicht vergeben könnte. Gott ist barmherzig und gnädig. Immer wieder streckt er seine Hand aus. Immer wieder schenkt er einen neuen Anfang.

Ja, „bei Gott herrscht größere Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über 99 Gerechte, die meinen, sie bräuchten keine Umkehr“.

 

Ganz egal wie wir dieses Gleichnis nennen es ist auf jeden Fall eine ganz großartige Erzählung, schön und kostbar, eine Perle im Neuen Testament.

 

In welchem Zusammenhang aber, warum und wem erzählt Jesus dieses Gleichnis?

Seine Adressaten sind die Schriftgelehrten und Pharisäern.

Im älteren Sohn malt Jesus ein Porträt dieser Selbstgerechten.

Es sind jene im Volk Israel, denen die penible Beachtung der Gesetze und Vorschriften über alles ging, jene, die sich gern über andere stellten, sich zu Richtern erhoben, jene, die voll Stolz und Verachtung, urteilend und verurteilend, auf andere herabschauten.

Ihnen erzählt Jesus dieses Gleichnis, um sein Verhalten gegenüber denjenigen zu rechtfertigen, die damals als „Sünder“ galten, um die man einen Bogen machte, in deren Nähe man ausspuckte, zumindest seelisch.

 

Dass Jesus ausgerechnet zu solchem „Gesindel“ Kontakt suchte, dass er sich ausgerechnet den Verachteten und Gestrandeten zuwandte, sich mit Zöllnern und Sündern sogar an einen Tisch setzte und mit ihnen zusammen Mahl hielt, das war für sie, die sich für gerecht, für untadelig und fromm hielten, ganz und gar unverständlich. Das war für sie ein Ärgernis. Das erregte ihre Empörung. Daran nahmen sie aufs heftigste Anstoß.

 

Wie an vielen anderen Stellen in den Evangelien begegnet Jesus ihren Vorwürfen und Anschuldigungen jedoch nicht mit einer Moralpredigt oder einer Verteidigungsrede, sondern – ganz in orientalischer Manier – mit einer Geschichte, einem Gleichnis.

 

Allerdings musste es auf sie geradezu schockierend wirken, in diesem Gleichnis von einem zu hören, der unter den Schweinen, dem Inbegriff der Unreinheit, gelebt hatte und dann von seinem Vater spontan umarmt und geküsst wird, der ohne Vorbedingungen, ohne Sanktionen, ohne Sühne und Buße alle Sohnesrechte zurückerhält und – statt mit einer deftigen Standpauke – mit einem Festmahl empfangen wird.

 

Die Pharisäer musste das schockieren, genauso wie den älteren Sohn, der sich über die Güte und das Erbarmen des Vaters eben nicht freuen kann, sondern sich gerade darum ungerecht behandelt und nicht genügend gewürdigt fühlt.

 

Am Schluss der Erzählung ist er, der Ältere, der Brave und Biedere, der eigentlich Gefährdete, um den man bangen muss. Es ist nämlich zu befürchten, dass er in seinem Schmollwinkel bleibt, dass er im Groll und Trotz verharrt, dass er sich selbst vom „Fest der Freude und Versöhnung“ ausschließt und somit selbst zum „verlorenen Sohn“ wird.

 

Er distanziert sich von seinem Bruder, indem er ihn nicht „mein Bruder“ nennt, sondern „der da, dein Sohn“. Aber auch das Wort „Vater“ findet sich nicht in seinem Mund.

Hat nicht auch er sich von seinem Vater entfernt, sich ihm entfremdet?

Braucht nicht auch er Einsicht, Umdenken und Umkehr?

Vermag er sich zu öffnen für den wiedergeschenkten Bruder und für die unerhörte Liebe des Vaters?

 

Der Schluss dieses Gleichnisses ist kein Happyend.

Wir erfahren nicht, wie sich der ältere Bruder entscheidet. Wir wissen nicht, wie er sich schlussendlich verhält.

Ob er weiter seinen Zorn nährt und grollend und schmollend draußen bleibt? Oder ob er sich doch noch einen Ruck gibt und über seinen Schatten springt? Ob er es doch noch fertig bringt hineinzugehen, sich mitzufreuen und mitfeiern?

 

Der Schluss des Gleichnisses ist offen. Offen bleibt auch die Reaktion derer, denen Jesus dieses Gleichnis erzählt. Wir sind gefragt, wir Hörer und Hörerinnen heute.

 

Fest steht: Der Vater macht keine Vorwürfe weder dem Jüngeren, noch dem Älteren. Er wartet auf die Heimkehr beider. Er will mit allen ein Fest feiern. So ist Gott!

 

Er will auch mit uns feiern, dass wir seine Söhne und Töchter sind.

Nehme ich die Einladung an? Feiere ich mit?

Kann ich mich über Gottes Gnade und Erbarmen anderen gegenüber freuen?

Weiß ich, dass ich selber immer wieder seiner Güte und seines Erbarmens bedarf?

 

In der Nacht zum 26. Januar 1881 war dem russischen Schriftsteller F. M. Dostojewski eine Lungenarterie geplatzt und ein Blutsturz eingetreten. Nachdem Arzt und Priester gegangen waren, rief er seine Kinder und bat seine Frau, aus der Bibel unser Gleichnis vorzulesen, das er mit geschlossenen Augen tief in sich aufnahm.

Dann sagte er zu seinen Kindern: „Vergesst nie, was ihr eben gehört habt! Habt unbedingtes Vertrauen auf Gott und zweifelt niemals an seiner Barmherzigkeit. Ich liebe euch sehr, aber meine Liebe ist nichts im Vergleich zu der unendlichen Liebe Gottes zu allen Menschen, die er erschaffen hat.“ Zwei Tage später starb er.

 

Der barmherzige Vater, der so anders handelt als wir es uns denken, der sich ganz anders verhält als wir es uns vorstellen, nämlich unerwartet geduldig und gütig, wo wir schon längst Schluss gemacht hätten, voll Liebe und Erbarmen, wo wir längst die Reißlinie gezogen hätten, er ist und bleibt eine Herausforderung.

Denn ähneln wir nicht mehr oder weniger dem älteren Sohn? Gleichen wir nicht oft denjenigen, denen Jesus dieses Gleichnis erzählt?

 

Der barmherzige Vater kann und will uns aber auch Vorbild und Beispiel sein, dass wir aus seinem Geist leben und aus seiner Gesinnung heraus handeln.

„Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist!“

„Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden!“