geistliche Impulse

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Vortrag

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Heiligenverehrung heute

(Teil 2)

 

Von italienischen Soldaten wird erzählt, sie seien an der Front gelegen und hätten auf das Signal zum Angriff gewartet.

Plötzlich reißt der Oberst sein Gewehr hoch, springt über die Brustwehr, rennt nach vorn mit dem Ruf „Avanti! Avanti!“- während seine Leute in sicherer Deckung hocken und elektrisiert von so viel Heldenmut mit leuchtenden Augen in die Hände klatschen: „bravo! bravo! bravissimo!“

 

Ist es mit unserer Einstellung zu den Heiligen nicht ähnlich?

Wir feiern ihre Feste und unsere Namenstage. Wir bewundern ihr Leben, klatschen Beifall aus sicherer Deckung und vergessen dabei, selbst aufzuspringen und ans Werk zu gehen.

 

Oder meinen wir vielleicht, Heiligkeit sei nur etwas für religiöse Genies? Eine Spezialaufgabe für eine unerreichbare Elite? Nein, Heiligkeit ist jeder Manns und jeder Frau Sache.

 

Ida F. Görres sagt:

„Jede Heiligkeit ist neu, wie jedes Menschenantlitz neu ist.“

Damit ist eine Absage an jede langweilige Frömmigkeit erteilt.

Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt.

Wir haben in den Heiligen Leitbilder, aber wir brauchen uns nicht sklavisch daran zu halten.

Wir müssen uns nicht nach starren Regeln und Maßbildern modeln.

Es gibt keine Zwangsjacke der Heiligkeit.

Wir sollen in unserer Art, nach unserer Begabung, entsprechend unseren Fähigkeiten und in unserer Zeit, an unserem Platz, an den Gott uns gestellt hat, die Heiligkeit Gottes annehmen und sie einbringen in Kirche und Welt.

 

„Jede Heiligkeit ist neu!“

Und darum sind die Heiligen, wenn man sich näher auf sie einlässt, keine langweiligen Kopien oder einförmigen Serienprodukte. Sie sind allesamt erfrischende Originale.

Jeder Heilige ist sozusagen ein einmaliges, unwiederholbares Kunstwerk, in dem sich göttliche Gnade und menschliche Freiheit vereinen.

 

Die „Heiligen verehren“ heißt nicht, die Geschöpfe in Konkurrenz mit dem Schöpfer bringen. Ihr Leben war erfüllt mit großer Leidenschaft für Gott und seine Sache. Sie waren, jeder in seiner Art, ganz und gar auf Gott bezogen und nur von ihm her sind sie zu verstehen.

Die Heiligen sind nichts aus sich selbst, alles aber aus Gnade.

Gerade deswegen kommt Jesus nicht zu kurz, wenn wir Lieder und Gebete, Kerzen und Blumen, Zeichen und Orte auch für sie, besonders für die Mutter Jesu, übrig haben. Das alles ist ja letzten Endes seinetwegen. Echtes Marienlob und echtes Lob der Heiligen ist letztlich Gotteslob.

 

Wir dürfen nicht bei den Heiligen stehen bleiben. Zuerst und zuletzt muss es immer um Gott gehen. Auch den Heiligen ging es ja ganz um Gott.

Wo allerdings die Heiligen in rechter Weise verehrt werden, wie es die Kirche vorsieht, ohne Übertreibung und Entgleisung, ohne Einseitigkeit und Fanatismus, - wir brauchen aber auch nicht ängstlich, sparsam und karg sein - hat der Glaube an Jesus Christus noch nie Schaden gelitten!

 

Übrigens: Zu den Heiligen beten wir nur. Gott allein beten wir an!

Wir müssen aber nicht zu den Heiligen beten. Man muss nicht zu ihren Heiligtümern pilgern. Man muss nicht in Lourdes, Fatima, Assisi und Rom gewesen sein, um in den Himmel kommen zu können.

Man kann auch daheim beten. Und man kann direkt mit dem Vater im Himmel sprechen, wie Jesus es getan und uns gelehrt hat.

Wir brauchen die Heiligen nicht als Zwischenschaltung, oder als „Vitamin B“, die Gott gnädig stimmen oder bei ihm für „gut Wetter“ sorgen.

 

Andererseits ist es auch nicht unsinnig, sie als Helfer, als Fürsprecher anzurufen. Sie sind ja unsere Brüder und Schwestern, lediglich durch den dünnen Schleier des Todes von uns getrennt. Unser Heil ist ihnen nicht gleichgültig. In ihrer Liebe stehen sie für uns ein.

 

Besonders zu Maria dürfen und sollen wir ein inniges Verhältnis pflegen, dürfen in ihr eine Helferin, Trösterin, Mittlerin und Fürsprecherin sehen.

Schon die hl. Schrift schildert sie uns ja nicht nur als eine große Glaubende, die ihr Ja spricht und es durchhält, sondern auch als eine Frau, die Not und Mangel wahrnimmt und alle Hebel in Bewegung setzt, um Abhilfe zu schaffen.

 

Beachten wir nur, was für eine Rolle Maria bei der Hochzeit zu Kana spielt.

Sie merkt die Verlegenheit des Brautpaares. Sie erkennt ihre Notlage. Sie nimmt die Ausweglosigkeit wahr. Sie zeigt Umsicht und Feingefühl. Sie ist es sodann, die ihren Sohn auf die prekäre Situation aufmerksam macht. Sie möchte helfen und sagt ihre Sorge ihm weiter.

Die Hochzeit von Kana offenbart uns das mütterliche, vermittelnde Eingreifen Marias.

Und sie zeigt uns, was Maria bei ihrem Sohn vermag.

Diskret macht sie Jesus auf die Verlegenheit des Brautpaares aufmerksam: „Sie haben keinen Wein mehr.“

Und Maria beweist Mut. Sie lässt sich auch durch ein scheinbar abweisendes Wort Jesu nicht beirren. Sie schenkt ihm trotz allem Vertrauen. Sie kennt ihren Sohn. Sie wendet sich den Dienern zu und ermuntert auch sie zum Vertrauen: „Was er euch sagt, das tut!“ Sie weiß sich schon erhört.

 

Wir sehen hier Maria auf der Seite der Menschen, die in Not sind. Wir sehen sie auf unserer Seite.

Wir sehen, dass es ihr nicht gleichgültig ist, wie es den Menschen geht.

Wir sehen, wie sehr ihr daran liegt, dass die Menschen glücklich und froh sind und miteinander feiern können.

 

Und noch etwas: Maria hält sich nicht heraus.

Sie mischt sich ein. Sie kümmert sich. Sie nimmt Anteil am Geschick der Menschen.

Die Sorge der Brautleute ist auch ihre Sorge.

Sie setzt sich ein. Sie sorgt dafür, dass den Brautleuten aus der Patsche geholfen wird und ihnen eine große Blamage erspart bleibt. Auf ihre Vermittlung hin geschieht das Wunder.

 

Dürfen wir nicht hoffen und glauben, dass sie, die sich in ihrem Erdenleben als Helferin und Retterin in Not gezeigt hat, dass sie jetzt im Himmel auch auf Seiten der menschlichen Not ist?

Oder meinen wir, nach ihrer Aufnahme in den Himmel habe Maria aufgehört, für die Menschen, die von vielerlei Not bedrängt sind, in mütterlicher Liebe einzutreten?

Soll Maria ihre Solidarität mit den Menschen, wie sie bei der Hochzeit von Kana gezeigt hat, aufgegeben oder verloren haben?

 

Jetzt kann sie doch erst recht menschliche Not sehen, Elend wahrnehmen, mitfühlen, raten und helfend zur Seite stehen.

Sie nimmt doch jetzt nicht weniger Anteil! Sie ist doch jetzt nicht weniger mächtig, aus Nöten und Gefahren zu erretten!

Ja, jetzt kann sie es doch viel mehr, viel besser, viel umfassender!

 

Therese von Lisieux hat gesagt:

„Ich werde im Himmel nicht untätig sein. Ja, ich werde Rosen regnen lassen über die Menschen.“

Es gibt keinen Grund und auch keinen theologischen Vorbehalt, der dagegen sprechen würde oder es uns gar verwehren könnte, in den Heiligen Fürsprecher und Helfer bei Gott zu sehen.

Wir dürfen mit gutem Grund und - wie wir gesehen haben - auch mit biblischer Begründung die Fürbitte und Hilfe Mariens und der Heiligen anflehen. Sie können uns nicht nur Vorbild und Leitbild sein, an dem wir immer wieder Maß nehmen und an deren Leben wir unser Leben ausrichten, sondern auch Fürsprecher und Helfer in unseren Sorgen und Anliegen, in Nöten und Gefahren.

 

Ein persisches Märchen schildert, wie Kinder in Persien am Abend den Himmel und die Sterne betrachten.

Die Sterne sehen sie aber nicht nach unserer naturwissenschaftlichen Vorstellungsweise, sondern als Löcher in einem dunklen Tuch hinter dem der feurige Himmel leuchtet. Die Sterne sind „Gucklöcher“ hinein in die himmlische Glut.

 

Dieses Bild lässt sich auch auf die Heiligen übertragen.

Die Heiligen sind wie die Sterngucklöcher im Himmelstuch.

Ob klein oder groß, ob geschichtlich oder psychologisch nah oder weit von uns entfernt: jeder dieser Heiligen ist ein Stern am herrlichen Himmel Gottes. In jedem von ihnen leuchtet und flammt das eine göttliche Feuer, die Heiligkeit Gottes, auf. Und je näher man ihnen kommt, desto mehr entdeckt man ihre Leucht- und Strahlkraft.

 

Heilige sind Menschen, die im Lichte Gottes stehen. Sie sind groß, weil Gott Großes an ihnen getan hat und sie Großes an sich tun ließen. Sie sind groß, weil Gott sie beschenkt hat und sie sich beschenken ließen.

Alles Licht, das wir an ihnen bewundern, ist nicht eigenes Licht, sondern von Gott gewirktes, von Gott ausgehendes Licht.

 

In der Heiligenpräfation heißt es:

„Gott krönt in den Heiligen das Werk seiner Gnade.“

Das ist die eine Seite: Gottes Handeln.

Die andere Seite: Der Mensch muss sich öffnen für Gottes Wirken.

Er muss dem Heil schaffenden Handeln Gottes Raum geben.

Er muss bereit sein, sich umfassen, sich durchdringen, sich ergreifen zu lassen von Gott, sich tragen und führen zu lassen von Gott. Er muss bereit sein, mit allen Fasern des Herzens Gott und sein Reich in sich Macht gewinnen zu lassen.

Heiligung vollzieht sich dort, wo ein Mensch sich in seinem Denken, seinem Wollen und in seinem Tun bis in die feinsten Verästelungen hinein leiten und bestimmen lässt von Gott und seinem Hl. Geist.

 

Übrigens: Sie wissen ja, dass wir nicht nur im Laufe des Kirchenjahres die Gedenktage und Feste der Heiligen feiern, der Frauen und Männer, die heiliggesprochen worden sind oder - wie wir auch sagen - zur Ehre der Altäre erhoben wurden.

 

Wir kennen und feiern ja auch das Fest Allerheiligen, das Fest der vielen unbekannten, namenlosen Heiligen, deren Leben in keinem Heiligenbuch beschrieben ist, über deren Leben nie ein Tonbild erstellt oder ein Film gedreht wurde und deren Namen in keinem Namenstagskalender vorkommen.

Es sind unzählige - Gott allein weiß wie viele - die zwar nie offiziell heiliggesprochen worden sind, die aber dennoch das Ziel ihres Lebens erreicht haben und in der Anschauung Gottes leben.

Sie sind nicht als Märtyrer gestorben und haben keinen Orden gegründet. Von ihrem Leben werden keine Wunder und Erscheinungen berichtet. Sie haben keine komplizierten Werke der Frömmigkeit vollbracht. Sie haben keine Schlagzeilen gemacht und nicht für Aufsehen gesorgt. Sie haben nach besten Kräften geglaubt, gehofft, geliebt. Sie haben sich bemüht, Gutes zu tun und tapfer und treu ihr nicht immer leichtes Schicksal zu meistern. Es sind die „Heiligen des Alltags“. Und sie leben auch heute noch mitten unter uns.

 

Heiligwerden ist nicht nur etwas für religiöse Genies, keine Spezialaufgabe für eine unerreichbare Elite. Wir alle sind zur Heiligkeit berufen. Heiligkeit ist jedermanns Sache. Sie hat nichts zu tun mit Heldentum. Sie besteht nicht in akrobatischen Frömmigkeitsübungen und asketischen Klimmzügen.

 

Das Wesen der Heiligkeit besteht in der Liebe.

Wenn wir das gelten lassen und ernstnehmen, dann bekommt das blasse und unattraktive Wort „Heiligkeit“ Farbe und die Sache selbst wird leuchtend, anziehend und erstrebenswert.

Jede Zeit hat ihre Heiligen, auch unsere Zeit, Menschen mit Leidenschaft für Gott, Menschen, die ganz in der Liebe Gottes stehen.

 

Übrigens, Paulus spricht die Adressaten seiner Briefe, also die Mitglieder der christlichen Gemeinden oft und wie selbstverständlich als „Heilige" an. Und die lassen es sich gefallen. Ja, sie sind stolz auf diesen Titel.

Stellen Sie sich vor, ich würde Sie als „Heilige von .... ansprechen? Wie würde das bei Ihnen ankommen? Das käme Ihnen doch sicher komisch und ungewohnt vor und wahrscheinlich würden Sie sich dagegen wehren. Zum Heiligsein, würden wir protestierend einwenden, ist es noch weit hin. Da fehlt noch viel.

 

Wir wissen aber, dass beispielsweise die Christen von Korinth beileibe keine Tugendbolde waren und keine Ausbünde der Frömmigkeit. Ihr Leben war längst nicht in allen Punkten einwandfrei und vorbildlich. Es gab Parteiungen und Streitereien.

 

Für den Apostel sind die Korinther trotzdem „Heilige“, und zwar deshalb, weil sie in der Taufe in die Lebensgemeinschaft mit Christus hineingenommen wurden. Sie sind „Heilige“, weil sie „Kinder Gottes“ sind.

 

„Heiligsein“, das bedeutet für die hl. Schrift: durch die Gnade in Verbindung mit Gott stehen, Anteil haben am göttlichen Leben. „Heiligkeit“ so verstanden ist Geschenk Gottes.

 

Freilich dieses Geschenk, grundgelegt in der Taufe und immer wieder genährt durch das Hören auf das Wort Gottes und den Empfang der Sakramente, ist auch Aufgabe und Verpflichtung. Die Teilnahme am göttlichen Leben erfordert eine gottgefällige Lebensgestaltung.

 

Deshalb ermahnt Paulus seine Gemeinden immer wieder, sich ihrer Würde, ihrer Erwählung, ihrer Gotteskindschaft bewusst zu sein. Er wird nicht müde, ihnen zuzurufen: Werdet, was ihr seid! Ihr seid von Gott Geheiligte! Ihr habt Anteil am göttlichen Leben und damit an der Heiligkeit Gottes selbst! Werdet, was ihr seid! Seid heilig, denn auch euer Gott ist heilig!

 

Heiligwerden ist so das Lebensprogramm eines jeden Christen.

Es ist nicht nur etwas für religiöse Genies, keine Spezialaufgabe für eine unerreichbare Elite. Wir alle sind zur Heiligkeit berufen.

Das Wesen der Heiligkeit aber besteht, wie schon gesagt, in der Liebe!

Ein Heiliger ist ein Mensch, der in der Nachfolge Christi die Liebe lebt.

 

Wo immer es in dieser Welt Liebe gibt und Menschen Liebe üben; wo immer Menschen verzeihen, sich versöhnen, Frieden schließen; wo immer Menschen einander die Treue halten, einander Freude schenken und auf das Gute bedacht sind; wo immer Güte, Geduld und Erbarmen herrschen: überall da wird mitten in einer zerrissen und friedlosen Welt die Heiligkeit Gottes sichtbar und spürbar, gelebt von Menschen, die erfüllt sind und sich antreiben lassen vom Geist Gottes.

 

Auf einem Abreißkalender habe ich am Fest Allerheiligen vor ein paar Jahren folgenden Spruch gefunden:

„Ein Heiliger, das ist ein leerer Krug, den du, Gott, mit Gnade füllst und der überläuft von deiner Liebe.“

 

Die Heiligen verehren heißt: den Glauben an die Macht der Gnade Gottes bezeugen.