geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Allerheiligen

(01. November)

 

 

Vor langer Zeit lebte ein alter Mönch. In der Gemeinschaft der Mönche war er der älteste, weiseste und gütigste.

Er wusste, er werde nicht mehr lange leben. Darum machte er sich eines Morgens auf den langen, steilen Weg, der zum Himmelstor führt.

Der alte Mönch pochte erwartungsvoll an die mächtige eiserne Tür. Einmal, noch einmal. Nichts regte sich. Die Tür blieb verschlossen. Was ist, dachte er? Bin ich nicht würdig fürs Himmelreich? – Habe ich zuwenig gefastet, zu wenig gebetet, zu wenig Opfer gebracht?

Traurig ging er in sein Kloster zurück, begann härter zu fasten, länger zu beten, tiefer zu schweigen und noch mehr Opfer zu bringen.

 

Abgehärmt und abgemagert ging er später wieder den steilen Weg zum Himmel hinauf.

Erwartungsvoll klopfte er an, klopfte von neuem. Nichts rührte sich. Was habe ich falsch gemacht, dachte der Mönch?

Ach ja, ich war ja immer abgeschieden in meinem Kloster. Ich habe keinen einzigen Menschen bekehrt.

 

Kurz entschlossen ging er zurück, direkt in die große Hafenstadt. Dort bestieg er ein Schiff, das ihn ins Heidenland mitnahm.

Angekommen, sprang er gleich an Land und begann im Hafen zu predigen. Doch die Hafenpolizei brachte ihn sofort aufs Schiff zurück. Im nächsten Hafen wollte er wieder mit dem Predigen beginnen, aber da war schon ein anderer Missionar aus einer anderen Kirche.

 

Ein ganzes Jahr predigte er und litt, so tapfer, wie noch nie ein Missionar sich ins Zeug gelegt hatte.

Froh ging er zum Himmelstor zurück, sicher, jetzt eingelassen zu werden. Mit missionarischem Schwung pochte er an die Pforte. Nichts. Das wahr wohl zu laut, dachte er, also etwas sanfter. Nichts rührte sich.

Der Mönch erbleichte: Was fehlt mir denn jetzt noch?

Ach, schoss es ihm durch den Kopf, ich hab ja immer nur gepredigt, habe vielleicht nicht genug getan, habe den Dienst an den Menschen vergessen.

 

Und er machte sich auf, wanderte in eine große Stadt und ließ sich gleich als Krankenpfleger einstellen. Und er wollte es besonders gut machen. Es ging ja um seinen Eintritt in den Himmel! – „Wollen Sie ein bisschen Tee“, fragte er nach jeder halben Stunde. „Nein“, sagte der Patient, „ich will keinen Tee, ich hab’s ja vorhin schon gesagt.“ – Bei der Nachtwache schaute er ständig nach den Schlafenden und weckte sie ebenso regelmäßig auf: „Ich wollte nur schauen, ob Ihnen was fehlt!“ „Lass uns endlich schlafen“, riefen sie zurück.

Der Mönch arbeitete und rackerte sich ab, ob er nun gelobt oder ausgeschimpft wurde, - Nach einem Jahr schritt er selig den Berg hinan. Er klopfte, klopfte abermals – und wieder rührte sich nichts.

 

Traurig setzte sich der Mönch neben das Tor. Er wusste wirklich nicht, was er noch ausgelassen hatte. – Auf einmal entdeckte er ein Kind, das in der Nähe des Tores eine Sandburg baute.

„Spielst du mit?“ fragte das Kind. Selbstvergessen begann der Mönch mit dem Kind zu spielen. Bald wurde es Abend. Die Sonne wurde feurig rot und begann hinter dem Hügel zu sinken.

„Schau mal, wie schön!“ rief das Kind. „Ja, wie schön das ist“, rief der Mönch. Und sein Herz wurde ganz weit. „Mein Gott, ist deine Welt schön!“ – In diesem Augenblick knarrte die Tür in ihren Angeln und öffnete sich. Und der Mönch wusste, dass er jetzt eintreten durfte.

Für den alten Mönch ist der Glaube eine einzige große Anstrengung, wie eine Kaskade von Forderungen: Du musst, du musst... fasten, beten, schweigen, predigen, missionieren, dich beschimpfen lassen, Kranke pflegen, dich für andere aufopfern, ganz von dir absehen..., du musst, du musst... Und er tut alles mit zäher Verbissenheit, mit eisernem Willen. Ein Christentum der Rekorde sozusagen. - Doch die Himmelstür öffnet sich nicht einen Spalt.

 

Erst als er meditativ, absichtslos mit einem Kind an einer Sandburg baut, ganz selbstvergessen sich dem Spiel hingibt, als er sich von der Schönheit der Welt überwältigen und beschenken lässt, erst als sein Herz weit und dankbar wird angesichts solch ungeahnter Schönheit, erst als er von sich selbst und seiner Leistung wegsieht, hin auf Gott, erst da öffnet sich ihm die Tür zum Himmel.

 

Diese Geschichte, liebe Schwestern und Brüder, könnte uns helfen, von einem überanstrengten, moralinsauren Christentum loszukommen.

Leider war es bisweilen so. Da wurde der Glaube zu einer riesigen Anstrengung, zu einer drückenden Last von lauter Forderungen.

 

Viele von den Älteren haben das noch so erlebt und eingetrichtert bekommen: Den Himmel musst du dir sauer verdienen. Du musst, du sollst, du darfst nicht... Da hat man nie genug getan. Dies muss man noch und das noch und jenes noch. Nie bist du fertig, nie vollkommen genug. Bis einem fast die Puste ausgeht.

Da ist diese Geschichte eine wahre Wohltat. Sie kann uns helfen, in die Mitte unseres Glaubens zu finden. Der Glaube soll uns nicht den Atem rauben, sondern aufatmen lassen. An Gott glauben, das heißt in erster Linie: sich geborgen fühlen, Vertrauen haben, dankbar sein, sich beschenken lassen.

„Gott liebt deine Armut und nicht deinen Glanz,

deine Sehnsucht und nicht deine Erfolge.“

Sich ganz tief auf die wunderbare Wahrheit einlassen: Gott liebt mich. Er liebt mich trotz meiner Armut, trotz meiner Grenzen. Er liebt mich ganz persönlich.

 

Wenn ich das begriffen habe, wenn diese wohltuende Wahrheit tief in mein Inneres eindringt, in mir Wurzeln schlägt, mich ganz und gar bestimmt, dann werde ich selbst fähig sein, barmherzig zu sein, weitherzig und großmütig. Dann bin ich ein Mensch, der selber Frieden in sich hat und so auch Frieden verbreiten kann. Nur der Beschenkte kann ein Schenkender sein, nur der Gesegnete ein Segnender.

Amen